Vor gut einem Monat, als die Erstsemester gerade in der Orientierungswoche dabei waren, Karlsruhe und die Karlshochschule zu entdecken, hatte ich die Möglichkeit, an der Globart Academy 2017 unter dem außergewöhnlichen Titel „(Un)Ordnung“ in Krems an der Donau teilzunehmen.
Der Titel „(Un)Ordnung“ machte sich bereits in der Eingführungsveranstaltung verdient. In der Minoritenkirche wurden die Gäste durch eine aufwendige und unordentliche Installation aus quergestapelten Stühlen, begleitet von atmosphärischem Nebel und transzendentaler Musik empfangen.
Im Laufe des Wochenendes ging es nicht weniger spektakulär zu, wenn auch auf einer anderen Ebene. Aus den unterschiedlichsten Bereichen wurden spannende Themen von diversen Redner*innen vor- und bestehendes Gedankengut auf den Kopf gestellt. Von John Hunters „World Peace Game“ und Menschenrechten über den liberalen Islam (Imamin Seyran Ates), einrdücklich komponiertes Chaos als Theater-Performance, die Hinterfragung der Existenz und Definition von Problemen bis hin zu einer ausführlich reflektierten Darstellung des absurderweise als natürlich betrachteten Wachstumsgedankens und möglichen Alternativen (z.B. der Postwachstumsökonomie) von André Reichel.
Order to noise
Innerhalb der Globart wurde ich eingeladen, an einem Workshop unter der Leitung von Stephan Jansen und Friedrich von Borries zum Thema Stadtentwicklung Krems: „Order to noise“ mitzuwirken. Ich hatte mir nicht allzu viel dabei gedacht und kurzerhand zugesagt, ohne genauere Vorstellungen, was mich erwarten würde. Zwei Minuten nach meiner Ankunft am Kloster Und ging es los, in der Gruppe von 14 Studierenden auf Drahteseln die Stadt zu erkunden. Entlang an der Donau, über die euphemistisch als „stellenweise ausbesserungsfähig“ bezeichneten Radwege in der Stadt selbst, vorbei an hübschen Plätzen umrahmt von alten, pittoresken Gebäuden sowie dem Campus der Hochschulen und dem größten Gefängnis Österreichs direkt nebenan. Geführt wurden wir vom stellvertretenden Baudirektor der Stadt Krems, der uns an den unterschiedlichen Haltestellen über Krems, die Stadtgeschichte, Probleme* und Zukunftspläne informierte: Krems wolle näher an die Donau (da diese durch die Bundesstraße von der Innenstadt getrennt ist) und brauche ein neues Mobilitätskonzept.
Erste Perspektive.
Den Abschluss der Radtour bot ein Empfang im städtischen Weingut, wo wir, durch Grünen Vetliner angeregt, erste Ideen austauschten und die vorläufigen Schwerpunktgruppen Mobilität, Identität und Gestaltung öffentlicher Räume bildeten.
Am nächsten Nachmittag stellten sich eine Journalistin einer Lokalzeitung und der Niederösterreichische Beauftragte für Elektromobilität unseren Fragen.
Zweite Perspektive.
Es zeigte sich, dass der Stadtteil „Lerchenfeld“ das Problemviertel, gar der „Soziale Brennpunkt“ sei. Davon wollten wir uns selbst überzeugen – und wurden schwer enttäuscht. Lerchenfels war trotz der schlechten Verkehrsanbindung sehr hübsch, und die Vorgärten der Häuser zauberten mehr Grün als wir es in der Kremser Innenstadt gefunden hatten. Auch die Anwohner, die wir informell befragten, fühlten sich dort recht wohl.
Dritte Perspektive.
Unsere Schlussfolgerung war also, dass das eigentliche Problem war, diesen Stadtteil als Problem zu bezeichnen.
Neue Perspektive.
Unsere Workshop Leiter hatten uns von Anfang an ermutigt, die Probleme, die uns geliefert wurden, nicht ohne weiteres hinzunehmen, sondern möglichst nach anderen Problemen zu suchen. Schließlich konnten wir, als „Fremde“, der Stadt Krems nicht vorschreiben, was sie besser zu tun oder lassen habe – wir konnten lediglich an verfestigten Wahrnehmungen rütteln und frische Sichtweisen einbringen.
Konkreter wurde unsere Idee der „Grätzel Tool Box“. Was vielleicht wie ein Medikamentenkoffer gegen eine Krankheit klingt, soll aber ein von der Stadt bereitgestelltes und verleihbares Set an Allerlei sein, mit dem man die Nachbarschaft (österreichisch: Grätzel) und auch verschiedene Generationen näher zusammen bringen kann. Beim Thema Mobilität war klar: für mehr Lebensqualität müssen die Autos raus aus der Stadt, Fahrräder rein und Parklplätze sollen Park-Plätze werden (inspiriert durch den Park(ing) Day).
Der Abschluss der außerordentlichen Globart Academy 2017 beinhaltete u.A. ein Gespräch mit Jakob von Uexkull, dem Gründer des World Future Council, und die Präsentation unserer Ergebnisse. Umrahmt wurde die Veranstaltung von wunderbarer Musik von Paul Guilda und Marwan Abado, mit schließlichem Ausklang durch Lagerfeuer und Gedankenreise am Ufer der Donau.
Das Globart Team rund um Gründerin Heidemarie Dobner hat eine Veranstaltung organisiert, die sicher keine/n der Teilnehmenden mit unveränderten Denkmustern nach Hause entlassen hat. Visionäre Menschen mit viel Erfahrung auf ihrem Gebiet und Studierende wie ich, die mit Staunen verborgene und doch zusammenhängende Teile von Weltwissen entdecken, trafen gleichermaßen aufeinander, um sich zu vernetzen und voneinander zu lernen, zu inspirieren und Perspektiven zu wechseln, um gewohnte Ordnung zu durchbrechen und aus dieser „creative destruction“ Neues entstehen zu lassen.
Deswegen kann ich allen, die diesen Text lesen, die Teilnahme an der nächsten Globart Academy herzlichst empfehlen!
Für einen Live-Eindruck hier die Weiterleitung zu den YouTube Videos der Vorträge.
*Problem, das: menschengemachtes Phänomen, das eigentlich gar nicht existiert, sondern nur Ausdruck geistiger Blockaden oder zu geordneter Denkmuster ist. Sollte also jemand ein Problem haben, ist dies erst einmal kritisch zu hinterfragen.