Eine Generation tritt ab, eine neue macht sich auf den Weg

Am Samstag, den 14.01 feierten wir unsere Absolventen des Jahrgangs 2016. Neben der Freude sich wiederzusehen bedeutete dieser Abend auch ein Abschied. Mit der Commencement Rede von Prof. Dr. Martin Zierold wollen wir nochmals auf den Absolventenjahrgang 2016 zurückschauen und zugleich einen Ausblick in die Zukunft machen.

Liebe KKM-Absolventinnen, liebe Absolventen,
liebe Eltern, Geschwister, Familienmitglieder, Freunde,

gleich ist es so weit: Sie, liebe Absolvent/innen, werden Ihre Zeugnisse in den Händen halten. Sie haben über drei Jahre auf diesen Moment hingearbeitet, und nun stehen zwischen Ihnen, Ihrem Zeugnis, dem Buffet und sicher auch einer längeren Nacht nur noch einige Worte von mir.

An einem Tag wie heute geht es unter anderem um Spannungsverhältnisse, und um Balance. Um die Balance der richtigen Redezeit, sicher: nicht zu lang, aber auch nicht gar nicht, denn dann würde etwas fehlen. Aber auch, beispielsweise, um die Balance von Rückblick und Ausblick, von Vergangenheit und Zukunft. Heute geht etwas zu Ende, und etwas Neues beginnt – bzw. es wird noch einmal deutlich, dass etwas Neues längst begonnen hat. Insofern prägen sicher auch viele und unterschiedliche Gefühle den heutigen Tag: ganz dominant Freude und Stolz auf das, was Sie erreicht haben. Aber vielleicht auch ein wenig Abschiedsschmerz und Nostalgie für die Zeit, die nun endet. Sicher Neugierde und Spannung auf das was kommt, aber vielleicht auch Sorge, wie es weitergehen mag und was diese Zeit für junge Kulturmanagerinnen zu bieten hat.

Wenn ich Sie heute verabschiede, dann ist es auch für mich ein besonderer Moment. Ich erinnere mich gut an den ersten Tag Ihrer Orientierungswoche vor über drei Jahren, an erste Gespräche im Café Palaver. Ihr erster Tag war auch mein erster Tag an der Karlshochschule. Und ich vermute, ich war nicht weniger aufgeregt als Sie. Nun sind Sie der erste Jahrgang, der sein Studium abschließt, den ich vom ersten Tag an begleiten durfte.

Vielleicht erinnern Sie sich an unsere erste Sitzung der Einführung in das Kulturmanagement im ersten Semester. Ich habe Ihnen ein Video von Gerard Mortier gezeigt, dem ehemaligen Intendanten der Salzburger Festspiele, der Pariser Oper und der Ruhrtriennale. Eine Begegnung mit ihm vor bald 20 Jahren hat mich geprägt, damals sagte er – wie auch in dem Video, das ich Ihnen vorgespielt habe –, dass es keine bessere Zeit gibt, Kulturmanager zu sein, als Zeiten des Umbruchs und auch der Krise. Denn gerade dann braucht man Kulturmanager, im besten Sinne: Menschen, die Kunst und Kultur zur Geltung verhelfen, die Kunst und Kultur dienen. Aber auch Menschen, die gestalten wollen und das auch können, Manager in einem guten Sinn des Wortes, die eine Idee für die Zukunft haben, die Veränderung nicht scheuen, sondern mutig, aber auch reflektiert, demütig und mit historischem Bewusstsein gestalten. Menschen wie Sie. Am Ende des Wintersemesters, in dem Sie ihr Studium begonnen haben, ist Gerard Mortier an Krebs gestorben. Eine Generation tritt ab, eine neue macht sich auf den Weg.

In einer der folgenden Sitzungen der Einführung in das Kulturmanagement ging es um die Frage, ob man Kultur überhaupt managen kann. Dazu haben wir uns mit einem Vortrag von Martin Roth befasst, damals Künstlerischer Leiter des Victoria & Albert Museums in London. Auch er hat von Spannungsverhältnissen und Balance gesprochen – von der Gefahr, dass Management versuchen kann, die Kunst zu zähmen und einzuhegen und damit genau das zerstört, was sie im Kern ausmacht. Er hat aber auch Beispiele gegeben, wie Kulturmanagement nötig ist, um herausragender Kunst zum Erfolg zu verhelfen. Ein Beispiel war die große David Bowie Ausstellung des V&A, die von London aus um die halbe Welt getourt ist. David Bowie ist fast auf den Tag genau heute vor einem Jahr gestorben. Eine Generation tritt ab, eine neue macht sich auf den Weg.

Martin Roth wiederum hat im vergangenen Jahr seine Position als Leiter des V&A aufgegeben und dies mit dem Brexit begründet, den er als persönliche Niederlage und als Niederlage der Werte empfindet, für die er am V&A gestanden hat. Und auch dies gehört zu ihrer Studienzeit und ihrem Einstieg als Kulturmanagerinnen und Kulturmanager: Neue Nationalismen, eine tiefe Krise der europäischen Idee, verbrecherische Kriege, globale Terroranschläge. Gerade ihr letztes Studienjahr, 2016, war ein Jahr, das selbst bei vielen positiven wirtschaftlichen Daten geradezu als „annus horibilis“ in die Annalen eingeht – und es ist keineswegs ausgemacht, dass es 2017 schnell besser wird, u.a. angesichts der Inauguration des neuen Präsidenten in den USA und Wahlen mit ungewissen Prognosen für radikale Parteien in Frankreich, den Niederlanden und auch Deutschland. Wer in diesen Tagen sein Wissen über die Welt nur aus den Nachrichten bezieht, der muss eigentlich in eine tiefe Depression verfallen.

Doch es gibt auch Hoffnung. Diese Hoffnung, liebe Absolventinnen und Absolventen, sind Sie. Ich sage das nicht leichtfertig. Heute geht etwas zu Ende, und etwas Neues beginnt – das gilt nicht nur für den heutigen Tag und ihr Studium, sondern es gilt nach allem was wir sehen können auch für unsere Gesellschaft. Dieses Neue wird, muss Ihre Generation gestalten – das ist Ihre Bürde, aber ganz im Sinne von Gerard Mortier auch Ihre große und historische Chance. Die Krisen, die wir aktuell kulturell, gesellschaftlich, politisch, ökologisch, sozial erleben, sind – so meine feste Überzeugung –, Krisen einer gesellschaftlichen Form im Übergang zu etwas Neuem, das wir noch nicht sehen und auch nicht verstehen können. Es ist nicht gesagt, dass dieses Neue besser sein wird – aber es ist ebenso wenig schon entschieden, dass wir nun in ein neues finsteres Zeitalter eintreten werden. Und Neu heißt auch – anders als es uns das Silicon Valley weißmachen will – nicht die völlige Disruption. Auch hier geht es um Spannung und Balance, um Bewahren und Verändern, das wissen wir auch als Kulturmanager. Die Zukunft ist offen, sie ist in ihren Händen und, da bin ich überzeugt, sie ist bei Ihnen in guten Händen. Wenn wir eine Zukunft haben, die lebenswert ist, dann werden darin auch weiter Kunst und Kultur eine zentrale Rolle haben. In unserem Zeitalter der Transformation daran mitzuwirken, dies zu entwickeln und zu gestalten, ist eine Aufgabe, um die sie vielleicht einmal spätere Generationen beneiden werden. Und ich weiß, dass Sie gut gerüstet sind – gerüstet mit Wissen, mit Methoden, mit Erfahrungen, mit Werten und Persönlichkeit.

Auch bei dieser, Ihrer Aufgabe geht es um Spannungsverhältnisse und Balance. Ich möchte Ihnen zum Abschied noch ein Zitat mit auf den Weg geben, das zwar sehr lang ist, aber vielleicht ein Kompass sein kann, um in der Spannung zwischen Alt und Neu, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Transformation und Kontinuität die richtige Balance zu finden. Es stammt von Odo Marquard, einem der wichtigsten deutschen Philosophen der Nachkriegszeit, der sich immer in der Tradition der antiken Skeptiker gesehen hat. Er machte sich u.a. Gedanken über das Verhältnis des Menschen zur Zeit und befand, dass es auch hier immer um Spannung und Balance geht:

„Unsere Zeit ist Frist, das Leben ist kurz. … Was wir – verändernd, verbessernd – an Neuem erreichen wollen, müssen wir schnell erreichen. Wir müssen es schneller erreichen als der schnelle Tod uns erreicht, sonst erreichen wir es gar nicht. So gilt: die Kürze unseres Lebens – also dass unsere Zeit endlich, dass sie Frist ist – zwingt uns Menschen zur Schnelligkeit.“

„Unsere Zeit ist Frist, das Leben ist kurz; darum können wir nicht beliebig viel Neues erreichen, uns fehlt – ganz elementar – die Zeit dazu; denn unser Tod – wie lange er auch zögert – kommt einfach zu schnell für viele Innovationen. Das limitiert unsere Veränderungsfähigkeit – unsere Schnelligkeit – und bindet uns dadurch so fest an unsere Vergangenheit, also an das, was wir schon waren und sind, dass wir ihr nicht in beliebigem Umfang enteilen können. Weil wir – sozusagen – nicht beliebig schnell und nicht beliebig weit aus unserer Herkunftshaut hinaus können, bleiben wir trotz aller Schnelligkeit langsam, sodass gilt: die Kürze unseres Lebens – also dass unsere Zeit endlich, dass sie Frist ist – zwingt uns Menschen zur Langsamkeit.“

„Unsere Zeit ist Frist, das Leben ist kurz; darum haben wir nicht die Wahl, ob wir schnell oder langsam leben wollen, sondern wir müssen – unvermeidlicher Weise – stets beides: schnell leben und langsam leben, Eiler und Zögerer sein. … Das gilt für die Zeit jedes Menschen, und es gilt ebenso für die moderne und gegenwärtige Zeit, die beides forciert: unsere Schnelligkeit und unsere Langsamkeit. Dadurch scheint sie uns zwar zu zerreißen; aber gerade das müssen wir aushalten. Wir müssen – auch und gerade in der modernen Welt – beides leben, unsere Schnelligkeit und unsere Langsamkeit, unsere Zukunftsbegierde und unsere Herkunftsbezogenheit, sonst leben wir unser Leben nur halb.“ (1)

Odo Marquard ist 2015 gestorben. Eine Generation tritt ab, eine neue macht sich auf den Weg. Es ist für mich ein Quell des Optimismus und der Zuversicht, Sie auf einem guten Weg zu wissen. Ich wünsche Ihnen, liebe Absolventinnen und Absolventen, alles Gute auf diesem Weg, dass Sie Eiler und Zögerer sein werden, dass Sie eine Balance finden aus Schnelligkeit und Langsamkeit auf ihrem Weg, dass es Ihnen glückt, ihre Leben nicht nur halb zu leben.


Literatur:
(1) Marquard, Odo. 1994. Skepsis und Zustimmung. Stuttgart: Reclam, 49-50

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