„Da muss man […] durch, denn sonst bewegen wir uns nicht weiter.“ Ein Satz, der hoffentlich nicht auf die vorhergegangene Veranstaltung bezogen ist: Am Dienstag, den 05.04.2016 war Eveline Lemke, Ministerin für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung des Landes Rheinland-Pfalz zu Gast beim Karlsgespräch in der Karlshochschule. Nach ihrem Vortrag hat sie uns im Interview ihre persönliche Sicht auf Nachhaltigkeit verraten und erklärt, warum die Deutschen bereits beim Zähneputzen ein grünes Land sind. Das Gespräch führte Bendix Lippe.
Karlshochschule: Sie haben ja auf der Veranstaltung sehr viel von ihrem persönlichen Leben geredet – was bedeutet denn Nachhaltigkeit für Sie selbst und wie wird das Ihrer Meinung nach in Rheinland-Pfalz umgesetzt?
Eveline Lemke: Für mich ist Nachhaltigkeit auch ein Gefühl und eine Identifikation. Ich möchte meiner Verantwortung gerecht werden, meinen Kindern und Kindeskindern und den zukünftigen Generationen diesen Planeten und unser Umfeld intakt überlassen. Aber wir gehen darüber hinaus, weil wir wollen, dass alle Menschen in Wohlstand leben und auch ein zufriedenes Leben führen können – im Einklang mit der Natur. Und deswegen haben wir in unserer Politik auch gesagt: Gerade der Einklang mit der Natur, die Ökologie, steht für uns absolut im Vordergrund. Damit setzen wir in Rheinland-Pfalz um, was die Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung beschlossen haben.
Karls: Wie hat sich das dann konkret in realpolitischen Maßnahmen niedergeschlagen?
Lemke: Zunächst einmal haben wir seit 2011 im Wirtschaftsministerium die Bereiche Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Energie, also Energiewende, sowie Kreislaufwirtschaft und Innovation zusammengeführt. Wir haben eine neue Innovationsstrategie entwickelt, damit wir anders forschen und entwickeln können. Und dieser neue Ressortschnitt führt dazu, dass die Kolleginnen und Kollegen sich mit Themen befassen, die sonst voneinander abgegrenzt sind. Gerade dieser interdisziplinäre Ansatz ist nicht leicht zu vollziehen – wenn wir aber wollen, dass er in der Gesellschaft gelingt, dann müssen wir ihn auch nach innen in der Verwaltung vollziehen. Und das war das erste Mal, dass das auch so passiert ist. Damit haben wir angefangen.
Karls: Sie haben angefangen, aber fertig sind Sie noch nicht ganz – was würden Sie sich denn wünschen, was soll in den nächsten Jahren noch passieren, was ist nötig?
Lemke: Wir haben eine klare Nachhaltigkeitsstrategie und eine Innovationsstrategie, die umgesetzt werden muss, wo man permanent dranbleiben muss. Also konkret: Die Energiewende nicht in Frage stellen, sondern sie umsetzen. Die Kreislaufwirtschaft weiterentwickeln. Nachhaltige Wirtschaftsweisen etablieren und die Industrie ermutigen, genau solche Produkte auch hervorzubringen. Und das alles so einbetten, dass die Bürgerinnen und Bürger auch genau wissen, was sie davon haben, damit sie auch die Anforderung an nachhaltiges Wirtschaften an den Markt stellen.
Karls: Jetzt hat man ja das Gefühl, dass aus der Politik in Sachen Nachhaltigkeit immer nur Regularien kommen – ist die Politik denn da überhaupt der dominierende Player oder sind da eigentlich Wirtschaft oder Privathaushalte viel stärker gefragt?
Lemke: Wir sind alle gefragt. Die Ziele kommen natürlich aus der Politik – doch wer ist die Politik? Wir machen das, was der Bürger von uns fordert. Und Umfragen zeigen, die Bürgerinnen und Bürger fordern von uns, dass wir das Ganze nachhaltig angehen. Trotzdem ist die kleine Veränderung, insbesondere dann, wenn sie einen persönlich berührt, immer schwierig. Wir Menschen sind so. Veränderungen anzunehmen, ist eine komplizierte Sache und Politiker, die zu viel auf einmal verändern, sind nicht immer wohlgelitten. Da muss man aber ein Stück durch, denn sonst bewegen wir uns nicht weiter.
Karls: Wenn wir uns in Zukunft auch weiterbewegen wollen, dann brauchen wir ja auch eine Generation, die dieses Thema auch weiter für wichtig hält. Wie wollen Sie denn junge Leute dazu bewegen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, wieso ist Nachhaltigkeit für junge Menschen überhaupt wichtig?
Lemke: Der Zeitgeist, mit dem Menschen aufwachsen,prägt sie. Wir Deutschen sind ja dafür bekannt, dass wir schon morgens beim Zähneputzen darüber nachdenken, wie wir den Müll sortieren. Das ist eigentlich eine gute Voraussetzung: aufwachsen mit einer grünen Denkweise. Aber das reicht nicht, denn eine Anwendung dieser grünen Denkweise, die mit einem schnellen Lernprozess verknüpft ist, der dann Nachhaltigkeit ermöglicht, das ist die Herausforderung. Und ich freue mich eigentlich darüber, dass die Gesellschaft in den letzten 30 Jahren sich immer weiter dahin entwickelt hat.
Karls: Jetzt werden ja an Hochschulen und Universitäten die Führungskräfte der Neuzeit ausgebildet – was sollen denn Hochschulen tun um ebendiese potentiellen Führungskräfte darauf vorzubereiten, später auch nachhaltig zu agieren?
Lemke: Ich komme aus einer Zeit, in der die Umweltpolitik erfunden wurde. In den achtziger Jahren hat man für den Schutz der Umweltgüter Boden, Wasser und Luft die gesetzlichen Regularien geschaffen, in der Regel einschränkende Normen. Heute ist das alles viel weiter entwickelt, weil wir Innovation anders fördern und sich andere Lebensformen herausbilden. Ich nenne mal die Share Economy, hier geht es um das „Benutzen“ und nicht mehr um „Besitzen“. Tauschen und Dinge wieder zur Verfügung zu stellen, ist in der jungen Generation ein ganz schickes, sexy Lebensmodell. Und wenn etwas Freude macht, wenn es schick ist, wenn es in den Trend einer Zeit fällt, dann machen mehr Menschen mit. Und das ist ein gutes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man Veränderungsprozesse voranbringt. Jede neue Generation bringt neue Ideen und Innovationen. Wir sind da gerade in einem guten Fluss – den sollte Politik auf jeden Fall unterstützen.
Karls: Noch ganz kurz als letzte Frage: Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Hochschulprogrammen wie unserem neuen Studiengang „International Sustainability Management“?
Lemke: Den finde ich ausgesprochen gut. Er enthält sehr viele Bestandteile dessen, womit wir uns auch täglich befassen. Er könnte sicherlich noch weitergehen: Das Prinzip „Kreislaufwirtschaft“ hat eine weitergehende Ausprägung, die Steigerung ist das Prinzip „Cradle To Cradle“, also Produzieren im Einklang mit der Natur. Gut finde ich, dass dieser Studiengang die Frage des grünen Denkens im Marketing abgrenzt vom Greenwashing. Also: Was sind die Kriterien einer nachhaltigen Entwicklung, die ernstzunehmend und nicht nur benutzend im Marketing wirken. Ich glaube, dass eine ethische Betrachtung der technologischen Entwicklung ständig in den Blickwinkel dieses Studienfaches gehört. Damit das, was Sie akademisch betrachten, kaufmännisch betrachten, betriebswirtschaftlich betrachten am Ende in ein Produkt mündet, das die Menschen nutzen und nachhaltig produziert worden ist. Da ist viel Potenzial drin. Ich finde das sehr, sehr gut. Ich wünsche mir, dass am Ende die Nachhaltigkeit in jedes Studienfach einfließt und ebenso verinnerlicht wird bei dem, was wir täglich tun – dass wir uns immer die Frage stellen: „Ist das wirklich sinnvoll, ist das nachhaltig oder können wir das anders machen?“
Karls: Frau Lemke, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Lemke: Gerne!
Hier geht es zum Karlsgespräch mit Frau Lemke zum Thema “Nachhaltiges Wirtschaften – Nachhaltigkeitsstrategie Rheinland-Pfalz”: