Kunst- und Kulturmanagement Praktikum: Regieassistenz Sommerblut Festival in Köln

Expertentheater – nie davon gehört, aber klingt spannend! Ausgehend von diesem Gedanken bewarb ich mich Ende Januar noch ganz spontan auf die Ausschreibung einer Regieassistenzstelle des Sommerblut Festivals in Köln für ihre Eigenproduktion AUSGEBRANNT zum Thema Burnout. Schon bei dem Bewerbungsgespräch mit Regisseurin Barbara Wachendorff stimmte die Chemie und umso mehr freute es mich, als ich die Zusage für die Stelle bekam. Damit handelte ich zwar entgegen meines ursprünglichen Plans, zuerst meine Bachelorarbeit zu schreiben, doch ich kann heute mit Sicherheit sagen, dass dies die richtige Entscheidung war.

15_05_20_inga_geiser_ausgebrannt_teil1_005

Ich wusste nicht, was mich bei der Entstehung dieser Theaterperformance zum Thema Burnout erwarten würde, weshalb ich mit großer Offenheit dann bereits Ende Februar zu den Castings der Experten nach Köln kam – dem voraus ging ein hektischer Spontan-Umzugs-und-Untervermietungs-Prozess. Doch ich fand innerhalb von zwei Wochen eine nette WG direkt im Zentrum der Stadt und schaffte es gleichzeitig, mein eigenes Zimmer in Karlsruhe unterzuvermieten. Es konnte also losgehen.

Dass es mir möglich war, bei den Castings dabei zu sein, war ein wichtiger Umstand, denn nur so konnte ich ohne Umschweife in die Thematik einsteigen und bekam direkt vor Augen geführt, was Expertentheater bedeutet. Die Laiendarsteller, die wir suchten, waren Experten für ihr Thema – sie alle hatten einen Burnout erlitten. An dieser Stelle muss ich anmerken, dass ich alleine schon über diese Thematik, die Einblicke, die ich bekommen habe, das Wissen, das ich generiert habe, die Vorurteile, die mir gegenüber dieser Krankheit genommen wurden und nicht zuletzt meine eigene Reflexion in dem Kontext, seitenweise berichten könnte, was nur leider sowohl den Rahmen als auch den Zweck dieses Beitrags sprengen würde.

Die Wahl der Thematik kam nicht von ungefähr. Die Produktion war Teil des alljährlich in Köln stattfindenden Sommerblut Festivals der Multipolarkultur. Dieses inklusive Festival hat es sich zur Aufgabe gemacht, tabuisierte Themen sowie die Menschen, die diese betreffen, in den Fokus zu nehmen, sie „vom Rand in die Mitte der Gesellschaft“ zu holen. In diesem Kontext arbeitete das Festival schon oft mit Barbara Wachendorff als Regisseurin zusammen, wobei Produktionen zum Thema Organhandel, Demenz, oder, im letzten Jahr, Sexualität und Behinderung entstanden sind.

Neben den Expertendarstellern sind immer auch einige professionelle Schauspieler Teil der Inszenierung. War es bei den vorherigen Produktionen, wie man mir erzählte, ausnahmslos so, dass die Profischauspieler mit den Experten zusammen auf der Bühne standen, entschied sich die Regisseurin dieses Mal dafür, die beiden Gruppen zu trennen. Das Thema konnte so von zwei Seiten betrachtet werden: Die Experten kehrten durch ihre persönlichen Geschichten (die Regisseurin und ich führten mit jedem Einzelnen ausführliche Interviews) ihr Innerstes nach außen und berichteten authentisch von ihrem Leidensweg – alles natürlich theatralisch aufgearbeitet, überhöht und stückweise verfremdet, um eine gewisse Anonymität zu wahren –, während die Profis die Thematik auf einer viel mehr künstlerischen, abstrakten Ebene aufgreifen konnten und sich dabei mit den Folgen des Lebens in unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft auseinandersetzten. Durch diese Teilung konnte ich die jeweils unterschiedlichen Arbeitsweisen der Regisseurin mit den Expertendarstellern und den Profischauspielern hautnah miterleben. Ein Schlüsselerlebnis war für mich dabei die Arbeit mit den Profischauspielern innerhalb des Verfahrens des „Devised Theatre“, welches die Regisseurin in dieser Produktion das erste Mal für eine ihrer Arbeiten anwandte.

129_AusgebranntT2_cMEYER_ORIGINALS

Aber was waren denn nun eigentlich meine Aufgaben? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass ich meine Kompetenzen in wesentlichen Bereichen erheblich ausbauen konnte. Vor allem zu nennen wären hier meine mittlerweile weit fortgeschrittenen Kenntnisse in

  • Türen auf- und abschließen
  • Kaffee kochen
  • Gaffer-Tape abreißen
  • Transkribieren von stundenlangen Interviews
  • Stühle schleppen
  • Papiermasken basteln
  • Alarmanlagen scharfstellen
  • Orientierung im Baumarkt
  • Putzen mit Reinigungsbenzin
  • Beamer einrichten
  • Wäscheklammern verteilen
  • Ständigem von A nach B hetzen – man entwickelt einen gewissen Laufschritt

Ja, diese Dinge fielen tatsächlich in meinen Aufgabenbereich (der sich sowieso nicht wirklich definieren lässt) – typisch Praktikantin, typisch Regieassistenz, immer Mädchen für alles, möchte man da denken. Aber das Tolle ist, es hat mir überhaupt nichts ausgemacht, diese Aufgaben zu übernehmen, weil es noch eine andere Seite gab, die alle Anstrengungen und (zahlreichen) Überstunden wettgemacht hat. Diese Seite zeichnete sich vor allem durch die Verantwortung, die mir übertragen wurde, wie auch die Wertschätzung, die man mir für meine Arbeit entgegenbrachte, aus.

Ziemlich schnell etablierte sich meine Position als Schnittstelle zwischen dem Projektteam und der Festivalleitung, sodass es in Zusammenarbeit mit der Projektassistentin einige organisatorische Aspekte zu bewältigen gab. Zum einen benötigte unsere Situation als Gäste im BTZ, dem Beruflichen Trainingszentrum in Köln Ehrenfeld, wo wir das Stück entwickelten, eine Menge an Absprachen und Kompromissen mit den Betreibern der Einrichtung, aber auch vielen weiteren Nutzern des Geländes. Von der Bongo-Band im Keller, die ihren „Trommelkurs“ zu Zeiten der Endproben und Aufführungen verschieben musste, bis hin zum Filmteam einer Soap, das in dem Gebäude eine Wohnung für Drehabreiten nutzte und uns gerade bei einer Szene, die im Treppenhaus spielte, öfter in die Quere kam.

Zum anderen galt es natürlich jede Woche den Ablauf der Proben zu organisieren und dabei vor allem die beiden unterschiedlichen Gruppen aus Expertendarstellern und Profischauspielern zu berücksichtigen. Auch zusätzliche Einschränkungen wie individuelle Sperrtermine, Raumbelegungen des BTZs (unter der Woche begann eine Probe immer erst um 17 Uhr, am Wochenende dafür von morgens bis abends) sowie die Tatsache, dass die Experten aufgrund ihres Burnout-Hintergrundes jeweils nicht mehr als drei Mal pro Woche zur Probe einbestellt werden sollten, mussten beachtet werden – gar nicht so einfach, das alles unter einen Hut zu bringen.

Generell konnte man mich auch immer als „die Frau mit dem Schlüssel“ identifizieren – das neon-orangefarbene Schlüsselband trug entsprechend dazu bei. Hatte eigentlich zunächst die Projektassistentin die Einführung in das relativ umfangreiche Schlüsselbund für beide Gebäude und in das System der zugehörigen Alarmanlage bekommen, so stellten wir bereits nach einer Woche fest, dass es ziemlich ineffizient ist, wenn sie jeden Tag aus dem Büro zum Auf- und Abschließen kommen und eigentlich auch dableiben muss. Also bekam auch ich die Einführung, unterschrieb einen Zettel, der mich bei Verlust des Bunds oder Auslösen eines Fehlalarms als verantwortlich erklärte und hatte fortan die Schlüsselgewalt. Dies bedeutete auch, dass ich immer die Erste war, die kam, und die Letzte, die ging – Arbeitstage von 9:30 Uhr bis 23:00 Uhr an Wochenenden waren keine Seltenheit.

Außer meinen täglichen Runden mit dem Schlüssel durch die Räume konnte sich jedoch – und das zum Glück – keine wirkliche Routine einstellen. Immer wieder warteten neue Aufgaben auf mich. Neben dem Soufflieren übernahm ich mit Fortschreiten der Proben und dem Komplexer-Werden des Stückes auch ab und an die Aufsicht ganzer Durchläufe einzelner Szenen mit den Experten, während die Regisseurin zum Beispiel die Tanz-Szene bearbeitete. Auch das Üben und immer wieder Durchsprechen der Texte koordinierte ich zeitweilen alleine mit den Experten vor der eigentlichen Probe, sodass es dann, wenn die Regisseurin kam, direkt losgehen konnte.

Weitere Dynamik kam in die Sache, als wir sowohl zur Hälfte der Zeit eine Hospitantin ins Team bekamen, wie auch ab der Endprobenphase einen weiteren Helfer. Es dauerte eine Weile bis ich durch zunächst indirekte und dann aber auch ausdrückliche Anweisungen und durch von selbst eintretende Situationen verstand, dass diese beiden wohl unter meiner Weisung standen. Nie hätte ich damit gerechnet, dass ich in meinem Praktikum in die Position kommen würde, Aufgaben delegieren zu können – zack, Kaffee kochen stand nicht mehr auf meiner Liste. Aber nicht falsch verstehen, wir haben alle super zusammengearbeitet, und am Ende waren wir wie eine große Familie – ja, ich weiß , dass das etwas kitschig klingt, aber so war es. Es ist unglaublich, wieviel es ausmacht zu wissen, dass jeden Tag bei deiner Arbeit Menschen auf dich warten, mit denen du gerne zusammen bist.

Mit der Premiere des Stücks wurde es dann noch einmal richtig aufregend. Wie alle anderen auch war ich mal wieder multifunktional einsetzbar. Abendkasse, dann kurz das Startsignal für die erste Szene der Experten mit einem Türknall geben, rüber ins andere Gebäude, wieder zurück, den Ton in der Tanz-Szene steuern und so weiter. Alleine der Ablauf und die Koordination zwischen den verschiedenen Räumen und die punktgenaue Führung der Menschen durch die Gebäude verlangte einiges an Organisation. Jeden Abend war ich mindestens genauso aufgeregt wie die Schauspieler und hoffte, dass alle Übergänge reibungslos funktionierten. Denn ohne dass es jemals ausgesprochen wurde hatte ich, da die Regisseurin immer irgendwo mit im Publikum war, um den Experten eine gewisse Sicherheit zu geben, automatisch die Verantwortung dafür, dass „hinter der Bühne“ alles glatt lief. Nach dieser Erfahrung denke ich mir, sollte ich meine nächste Regieassistenz an einem festen Haus machen, wird mir eine einzige Bühne, um die es sich zu kümmern gilt, im Vergleich zu ca. sieben Räumen plus Flure sicher als ziemlich entspannt vorkommen ;).
Man hört es vielleicht schon raus – ich bin ziemlich begeistert von meinem Praktikum – trotz aller Anstrengungen. Ich kann allen nur raten, was ich auch schon in früheren Praktika festgestellt habe: Groß heißt nicht unbedingt besser. Gerade bei kleineren Vereinen oder Organisationen bekommt man schnell eigene Verantwortungsbereiche übertragen und kann sich einbringen und weiterentwickeln.

Leave a Reply