Lügenpresse WTF? – Schülerzeitungsredakteure diskutieren über Ursachen und Zusammenhänge eines medialen Phänomens.

 

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Als Chefredakteur eines fiktiven Nachrichtenmagazins bin ich etwas aufgebracht. Ständig spukt dieses Wort „Lügenpresse“ im medialen Diskurs herum. Schon länger ein offiziell zertifiziertes Unwort, das so manche Journalistinnen und Journalisten persönlich ankratzt, schließlich ist das aus ihrer Perspektive heraus eine infame Herabsetzung ihrer eigenen Leistung und Kompetenz. Tagtäglich versuchen sie, die Journalisten, doch möglichst neutral, frei und objektiv über das jeweilige Tagesgeschehen zu berichten – ohne sich vielleicht darüber Gedanken zu machen, was diese Begriffe “neutral”, “frei” und “objektiv” eigentlich bedeuten und ob sie in einer Welt voller komplexer Zusammenhänge und Interessensgeflechte tatsächlich auch prinzipiell so praktikabel realisierbar sind.

„Was ist da los? Ich will es wissen. Nähern Sie sich diesem Thema aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven. Legen Sie ihren persönlichen Groll und ihre Vorverurteilungen ab. Seien sie ergebnisoffen. Hinterfragen sie kritisch und geben Sie mir in der nächsten Redaktionskonferenz ihre Ansichten zum Besten“, beauftragte ich, der fiktive Chefredakteur, seinen journalistischen Nachwuchs im Workshop „Lügenpresse WTF?! Wege aus dem journalistischem Shitstorm“ auf dem deutschen Schülerzeitungskongress der Jugendpresse in Berlin. Insgesamt 15 junge Menschen unterschiedlichen Alters saßen vor mir und schienen sich eher mehr als weniger brennend für diese Thematik zu interessieren.

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Wir stiegen umgehend ein in die simulierte Redaktionskonferenz und damit auch direkt in die offene Diskussion. Nachdem sich jeder fiktiver Redakteur mit seinem fiktiven Ressort (also Interessensgebiet) vorgestellt hat, führe ich zur Orientierung das sogenannte „Problemdreieck“ ein, eine einfache Methode, die erst einmal alle möglichen Ursachen eines Problems aufzeigen soll, damit man im Anschluss vielleicht entsprechende Lösungsideen entwickeln kann. Doch zu konkreten Lösungsvorschlägen sollte es am Ende gar nicht erst kommen. Dazu haben wir zu intensiv über die Ursachen diskutiert. Schnell wurde nämlich allen Teilnehmer klar, dass es gar nicht so einfach ist wenige, klare Ursachen für ein komplexes mediales und gesellschaftliches Phänomen eindeutig zu identifizieren, geschweige denn überhaupt zu ermitteln wie viele Menschen tatsächlich der Ansicht sind, dass man Medien per se nicht vertrauen kann weil sie von irgendjemanden so gelenkt werden, dass auch der Medienkonsument gelenkt wird. Allein die vielen verschiedenen Positionen in der Diskussion, das permanente kritische Hinterfragen des scheinbar Selbstverständlichen, zeigten am Ende deutlich, dass es die eine objektive Wahrnehmung vermutlich gar nicht gibt und dass die Debatte um “Lügenpresse” in erster Linie hochemotional und interessensgeleitet geführt wird und zugleich die Komplexität dieses Phänomens eine klare, eindeutige und einfache Antwort einfach nicht zulässt. Einfacher ist ein klares “Blaming & Shaming”. Einzelne Sündenböcke, die von verschiedenen Seiten in das Spiel eingeführt werden um sich selbst Entlastung von Verantwortung zu verschaffen. Mal sind es “die da oben”, mal ist es “der Kapitalismus” oder ganz einfach “diese Verschwörungstheoretiker” und ihre “dummen Opfer” oder noch einfacher: “Das gesamte Internet” und seine “Anonymität” und den “Trollen” ist an dieser Dynamik Schuld. Aber so einfach ist es leider dann doch nicht. Wir Westeurpäer neigen dazu die Dinge fein säuberlich aufztrennen, sie zu sezieren und verkennen dabei dass wir am Ende zwar einzelne Zutaten beschreiben können, aber noch rein gar nichts über ihre gegenseitiges dynamisches und zirkuläres Zusammenwirken aussagen können.

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Im zweiten Teil des Workshops verteilte ich Umschläge. Darin lagen von mir ausgewählte Artikel zu einzelnen Themenfeldern wie „Historie des Begriffs der Lügenpresse“, „Was ist eigentlich die Wahrheit?“, „Erfolgreiche und nachgewiesene Medienmanipulation durch Wirtschaft und Politik“, „Beziehungsverflechtungen von Medien“, „Rolle der Journalisten und ihr Wandel“, „Aufgabe der Medien für die Gesellschaft“ und „Verschwörungstheorien – Funktion und Ursache“. Diese Artikel – ich betonte übrigens, dass auch das bereits eine subjektive Vorfilterung durch mich sei, aber angesichts der fehlenden digitalen Recherchemöglichkeiten nicht anders umsetzbar war – sollten den Teilnehmerinnen und Teilnehmern noch mal neue und umfangreiche Impulse für die weitere Diskussion geben. Die Sammlung der Artikel findet man übrigens hier in meinem Evernote-Archiv. Eine bunte Mischung aus Philosophie, politische Bildung, Nachrichtenmeldungen, Meinungen und auch der ein oder andere zweifelhafte verschwörungstheoretische Text findet sich darunter. Die umfangreichen Texte lieferten, trotz der knappen Zeit, noch mal wichtige Diskussionsimpulse. Und es zeigte sich dabei eben auch: Wer gute, tiefgründige und multiperspektivische journalistische Arbeit machen will, muss sehr viel lesen, fragen und beobachten. Das kostet Zeit und Ruhe. Voraussetzungen, die Journalisten nur selten im Arbeitsalltag vorfinden.

In der zweiten Diskussionsrunde, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kurz ihre Erkenntnisse aus den gelesenen Artikel vorstellten, stellte sich zunehmend heraus, dass das Problem der „Lügenpresse“ ein ziemlich strukturelles und schwammiges Phänomen zu sein scheint. Es greifen sehr viele verschiedene Faktoren ineinander (Zufälle und schlichtweg Fehler inklusive) als das man am Ende klare Wege aus der Problematik skizzieren könnte. Folgende Teilprobleme wurden im Laufe der insgesamt 3-stündigen lebendigen Diskussion ungefähr identifiziert (so mein subjektiver Eindruck):

– Journalismus steckt immer in einem Beziehungsgeflecht aus verschiedenen Interessen. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und persönliche Interessen des jeweiligen Systemteilnehmers. Es herrscht gefühlt ein enormer wirtschaftlicher Druck auf die Redaktionen. Der digitale Wandel führte zu massiven Veränderungen auf der betriebswirtschaftlichen Ebene bei den Verlagen (Einbruch Auflagen, Umbruch Anzeigengeschäft etc.) und führt damit auch immer öfter zu Einsparungen innerhalb der Redaktionen. Das wiederum hat zur Folge, dass immer mehr Journalistinnen und Journalisten eine eigenständige und damit sehr gründliche Quellenarbeit gar nicht mehr selbst vollziehen können. Sie sind mehr oder weniger strukturell gezwungen die externen Meldungen der großen Nachrichtenagenturen als Basis ihrer Arbeit zu verwenden und kaufen Fotos von bestimmten Ereignissen ein, auf dem sie aber selbst gar nicht zugegen waren. Kann der Journalist also Verantwortung für einen Artikel übernehmen, den er im Kern gar nicht erlebt und begutachtet hat, weil er gar nicht dabei war und damit gar nicht einschätzen kann ob diese Agenturmeldung das Ereignis ins rechte Licht rückt? Und welche Perspektive dabei vielleicht noch fehlen könnte?

– Der aktuelle wirtschaftliche Druck auf die Branche und die Interessen von Anzeigenkunden führt in manchen Fällen zu einer sehr asymmetrischen und damit einseitigen Machtbeziehung. Unternehmen versuchen sowieso permanent durch “Public Relation” Aktivitäten die Berichterstattung der Medien massiv zu beeinflussen. Das ist nicht wirklich neu. Hinzukommt aber die wirtschaftlich angeschlagene Lage von Verlagen. Damit wird jeder größere Anzeigenkunde zum gefühlten alleinigen Eigentümer der Publikation. Denn mit Entzug seines großen Werbeetats kann er das journalistische Produkt zum Einsturz bringen. Entsprechende Fälle sind mittlerweile bekannt.

– Die Dichte und Fülle der Berichterstattung nimmt insgesamt zu. Mehr kommunikative Konkurrenz – gerade durch den digitalen Wandel bedingt – mehr Stimmen, mehr Meinungen, mehr Themen, mehr Perspektiven verkomplizieren die Arbeit zusätzlich. Man muss mehr prüfen, sich mit mehr Ansichten auseinandersetzen und vor allem sich gegen andere klickstarken Geschichten behaupten. Das verleitet eher dazu Berichterstattung zu emotionalisieren, aufzubauschen und “sensationeller” zu gestalten. Klare, einfache und emotional kontroverse Aussagen werden gelesen und geteilt. Komplizierte, ausgewogene und lange Artikel hingegen gefühlt gemieden. Im Übrigen führt der Zeitdruck auch dazu darauf zu achten was die Konkurrenz schreibt. Das gilt dann oftmals auch als Bestätigung der Meldung und umgeht die eigenhändige Quellenprüfung. Das berühmte “die schreiben voneinander ab”, vielleicht ein Grund, warum Falschmeldungskaskaden wie die Geschichte rund um die Schokoladen-Diät geschehen.

– Insgesamt wird immer stärker sichtbarer, wie verdammt komplex die Welt eigentlich ist. Die Menschen sind es aber nach wie vor gewohnt einfache und eindeutige Antworten auf Probleme serviert zu bekommen. Es entsteht, laut einigen Diskussionsteilnehmern, ein allgemeines Gefühl der Überforderung der Gesellschaft. Sowohl bei den Autoren wie auch bei den Lesern. Wir jagen seit gefühlten 20 Jahren von Krise zu Krise, von Konflikt zu Konflikt, alles globaler und näher und statt irgendetwas davon erfolgreich zu lösen kommt eher eine neue Krise dazu. Zudem scheinen viele Krisen eng miteinander verflochten zu sein. Wie ein nicht entflechtbares Knäuel aus Gummibändern.

– Das Thema “Medienethik” wurde besonders interessant debattiert. Anhand des Fotos von der Demonstration rund um “Charlie Hebdo”, bei dem die Regierungschefs Arm in Arm marschierten wurde klar, wie schwer es ist eine moralische Verantwortung zu finden und klare Grenzen zu ziehen. Wurde wirklich an einer Stelle explizit behauptet diese Politiker führen die Großdemo an oder ist dieses Bild erst durch Zufall bei den Lesern und Zuschauern in ihren Köpfen entstanden, weil die Journalisten auf Agenturmaterial zurückgriffen und selbst gar nicht vor Ort waren? Beide und noch einige andere Interpretationen sind denkbar. Und auch der schmale Grat der Bildmanipulation wurde der Runde bewusst. Darf man Bilder bearbeiten? Wenn ja bis zu welchem Punkt? Auch diese Frage konnte nicht eindeutig geklärt werden, sondern obliegt in der ethischen Beurteilung des Einzelnen.

– Ebenfalls bewusst wurde der Runde, dass “Verschwörungstheorien” nicht nur selbstlos versuchen die Welt aufzuklären und zu warnen, sondern daß dahinter wiederum ein ausgeprägtes wirtschaftliches Interesse dahinter steckt. Ironischerweise werfen Verschwörungstheoretikern immer den etablierten Eliten vor, ihnen ginge es immer nur um Macht und Geld. Dabei agieren professionelle Anbieter dieser Theorien kein Deut anders. Auch ihnen geht es um wirtschaftlichen Profit und einer Deutungshoheit im gesellschaftlichen Quellcode, dem Diskurs.

– Schließlich diskutierten wir noch die Frage, ob objektiver Journalismus überhaupt realisierbar ist. Ob es die eine Wahrheit gibt, die man verbreiten kann. An vielen Punkten innerhalb der Diskussion wurde einigen hoffentlich bewusst wie unterschiedlich die Wahrnehmungen in der Runde waren und wie wenig man eine wirklich konkrete Wahrheit eigentlich nach Außen hin vertreten kann. Für mich war diese permanente nie abgeschlossene Suche nach einer Erkenntnis die eigentliche Erkenntnis. Wir handeln die Wahrheit aus. Je nach Interesse. Je nach subjektiver Wahrnehmung, je nach Sozialisation, Kultur, Tagesform etc. pp. Und die Annahme “DER Journalismus” sei verantwortlich für “DIE Wahrheit” ist vermutlich das eigentliche Problem in der Frage der “Lügenpresse”. Man vereinfacht. Man verallgemeinert. Man gibt die eigene Verantwortung ab. Man zerstört das Vertrauen in alle Menschen die ihren Job gut machen. Man behandelt Falschmeldungen und Fehlerkaskaden nicht als Einzelfälle, sondern schmeißt alles kunterbunt in einen großen Topf der Simplifizierung, ne nach eigenem Gusto. Wenn die Presse die eigene Meinung repräsentiert beruft man sich auf sie (das steht sogar hier in der Presse), wenn sie der eigenen Weltanschauung widerspricht ist sie sofort im Ganzen unglaubwürdig und manipuliert.

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Leider steht sich der Journalismus oft selbst im Weg, denn er füttert diesen Ourobourus kräftig mit. Je sensationeller, kürzer und emotionaler berichtet wird, desto mehr lässt sich der Journalismus genau auf dieses Spiel ein. Am Ende bleibt einem fast nur noch das Bild des unübersichtlichen Knäuels aus Gummibändern.

Um den Bericht optimistisch zu schließen kann ich ganz persönlich und subjektiv nur sagen: Wenn die aktiven Teilnehmrinnen und Teilnehmer dieses Workshops weiterhin so neugierig, engagiert, reflektiert, (selbst)kritisch, ethisch gefestigt und offen bleiben, dann habe ich große Hoffnung für die Zunft des Journalismus.

 

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