Pegida, Fremdenangst und Gegen-Narrative – ein Interview mit Roman Lietz

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Roman Lietz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Karlshochschule und mit verantwortlich für das Forschungsprojekt DIVERSE: Erforschung und Verbesserung der Partizipation von Drittstaatlern in der EU. Er ist außerdem engagierter Mitstreiter einer neuen Integrationskultur. Ihn habe ich zum aktuell erneut aufkeimenden Zeitgeist einer Fremdenangst befragt

Roman, gestern gingen in Dresden 15.000 Menschen gegen die Islamisierung des sogenannten Abendlandes auf die Straße. Was passiert da gerade in Deutschland?

Die aktuellen Entwicklungen verdienen in der Tat Aufmerksamkeit. 2012 hat die Friedrich-Ebert-Stiftung in ihrer Studie „Die Mitte im Umbruch“ festgestellt, dass es einen Rechtsruck in der Gesellschaft gibt. Fremdenfeindliche Thesen wie „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ werden von einem Drittel der Deutschen geteilt. In Ostdeutschland sogar von mehr als der Hälfte. Was bislang nur hinter vorgehaltener Hand geäußert wurde, wird heute offen auf der Straße gesagt.

Nur gesagt? In Deutschland brannten in der vergangenen Woche in einigen Städten wieder Unterkünfte für Asylbewerber.

Dass die Fremdenfeindlichkeit auch in die Tat umgesetzt wird, beunruhigt natürlich. Laut einem ZEIT-Artikel hat sich die Zahl der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte im letzten Jahr mehr als verdoppelt. Für dieses Jahr gibt es noch keine endgültigen Zahlen, aber es gibt definitiv einen neuen Zuwachs. Außerdem gab es in den letzten zwei Jahren 78 Angriffe auf Moscheen und auch diese häufen sich. Da werden auch Personenschäden in Kauf genommen.

Die Pegida ist besonders in Dresden erfolgreich. Handelt es sich um ein Ostdeutsches Problem?

Nicht unbedingt. Zwar ist die Ablehnung von Zuwanderung in der ehemaligen DDR durchschnittlich höher als in Westdeutschland, aber signifikant präsent ist sie überall. Die letzten Moscheeanschläge fanden übrigens in Oldenburg, Bielefeld und Mölln statt.

Es scheint, als sei das Thema Integration riesengroß und angstbehaftet. Kannst du diese Angst erklären?

Wir Menschen neigen wohl schon immer dazu, Angst vor dem Obskuren und Unbekannten zu haben. Diese Angst ist manchmal hilfreich, oft aber nicht rational. Die meisten Menschen, die gegen die vermeintliche Islamisierung auf die Straße gehen, kennen doch gar keine Muslime und haben im Alltag gar keine Berührungspunkte. Wusstest Du, dass es in Sachsen gerade einmal 4.000 Muslime gibt? 15.000 Menschen demonstrieren wegen 4.000 Muslime. In anderen Kontexten ist es ähnlich. In der Schweiz gibt es beispielsweise 4 Moscheen mit sichtbaren Minaretten. Trotzdem wurden die Menschen bei einem Volksentscheid mobilisiert und fremdenfeindliche Ressentiments entluden sich.

Welche Ansätze siehst du dieser Angst zu begegnen?

Zum Glück tut sich ja auch in dieser Hinsicht etwas in Deutschland. Die Anti-Pegida Kundgebungen haben auch viele Menschen mobilisiert. In meinen Augen ist es wichtig Ängste nicht abzutun, sondern sie ernst zu nehmen, jedoch sachlich zu entkräften. Das erfordert natürlich Arbeit und eine ehrliche Auseinandersetzung miteinander.

Resultiert diese Angst auch auf einer Art Halo-Effekt?

Ja, das könnte man so sagen. Ein Halo-Effekt ist ein „Überstrahlungs-Effekt“. Ein einzelnes Merkmal einer Person oder Gruppe ist so prägnant, dass es den Gesamteindruck bestimmt. Im Fall von antimuslimischen Vorurteilen sind es einzelne Berichte, wie zum Beispiel der Terrorangriff von London oder gerade jüngst von Sydney, die die Angst schüren. Dass dadurch eine tatsächliche konkrete Bedrohung für den Einzelnen nicht schlimmer geworden ist, wird nicht berücksichtigt. Diese Taten sind natürlich schrecklich und ich verstehe auch, dass sie Angst machen, sie sind aber nicht repräsentativ für die 4 Millionen Muslime in Deutschland.

Wie kann die Kommunikation positiver Beispiele aussehen?

Die Soziologin Naika Foroutan von der Humboldt-Universität Berlin plädiert schon seit Jahren für neue Narrative, also positiv besetzte Erzählungen in denen Zuwanderung eine Rolle spielt. Was sind unsere aktuellen positiven Narrative? Trümmerfrauen, Wirtschaftswunder, Wiedervereinigung. Warum ist die Einbindung der Gastarbeiter nicht positiv besetzt? Oder das Schengener Abkommen?
Eine Möglichkeit, auch mal andere Geschichten zu erzählen, ist übrigens der Vielfaltfinder.

Was ist das?

Das ist eine Datenbank, die Experten mit Migrationshintergrund zu allen möglichen Themen an die Medien vermittelt. Zum Beispiel kann ein türkischstämmiger Medienberater zum Thema Online-Sicherheit befragt werden. Damit stehen Personen mit Migrationshintergrund auch mal in anderem Kontext im Fokus der Öffentlichkeit.

Da sind also die Medien gefordert, aber kann der einzelne auch etwas tun?

Das ist sogar noch viel wichtiger. Die meisten Ressentiments werden ja in privaten Situationen geäußert; bei der Arbeit oder im Sportverein. Ich würde gerne alle couragierten Menschen ermutigen, dort nicht den Mund zu halten, sondern freundlich aber bestimmt mit Fakten gegen Vorurteile zu kontern.

An der Karlshochschule habt ihr auch zu dem Thema Integration geforscht. Was habt ihr herausgefunden?

In unserem Forschungsprojekt DIVERSE geht es unter anderem um die Einbindung von Drittstaatlern auf dem Arbeitsmarkt. Das hängt stark mit dem Diversity Management zusammen und ist eine Notwendigkeit auf Grund von Fachkräftemangel und demografischem Wandel. Wenn man sich genauer damit beschäftigt sieht man plötzlich ein anderes Deutschland, eines, das versucht Diversität wertzuschätzen und Ausländer willkommen zu heißen. Auch da kann noch viel getan werden, zum Beispiel bei der Anerkennung von Abschlüssen und von non-formalen Kompetenzen.

Was bedeutet das?

Das bisherige Anerkennungsverfahren prüft vor allem, WO und WIE LANGE ein arbeitssuchender Drittstaatler gelernt hat. Wir im Forschungsprojekt DIVERSE unterstützen hingegen einen Paradigmenwechsel, der fokussiert WAS die Person gelernt hat. In dieser Hinsicht tut sich europaweit zum Glück etwas.

Dann wird am Ende alles gut?

Hoffentlich wird alles gut, aber das passiert nicht von selbst, sondern nur durch unser aller zutun. Wir müssen auch aufpassen, dass Zuwanderung nicht nur auf Basis von wirtschaftlicher Verwertbarkeit beurteilt wird.

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