Enzensberger und Schirrmacher wider die selbstbestimmte Medienkompetenz

menschmaschine

Echte Medienkompetenz (Und Technologiekompetenz) bedeutet für mich nicht 10 “richtige” Antworten auf die Bedienbarkeit von Medien zu geben. Medienkompetenz bedeutet für mich mindestens 10 kritische Fragen mir selbst gegenüber zu stellen, sobald ich Medien oder Technik benutze (sowohl konsumieren wie publizieren)

Die neuen Medien sind ihrer Struktur nach egalitär.

Hans Magnus Enzensberger in “Baukasten zu einer Theorie der Medien”

Mit Sorge blicke ich einmal mehr auf das Feuilleton der FAZ. Frank Schirrmacher holt erneut zum großen Schlag gegen die Mensch-Maschinen-Welt aus und bedient sich zum Auftakt seiner Serie den Gedanken des Schriftstellers und wichtigen Denkers einer Post-Adorno-Medientheorie Hans Magnus Enzensberger. Dieser formuliertfast schon in der Pop-Ästhetik von “Internet-Memen” 10 knackige Regeln für die digitale Welt. Als ich diese Regeln las, passierte in mir als Leser etwas interessantes. Zuallererst war ich irritiert – was ich grundsätzlich begrüße, denn nur im Bruch mit der Wirklichkeit entstehen neue Denkprozesse. Enzensberger ein für mich kluger Medientheoretiker serviert mir also ein Buzzfeed-Artikel. Okay. Erst mal sacken lassen. Im zweiten Schritt überlegte ich mir dann: Wie könnte Enzensberger das jetzt “wirklich” gemeint haben? Entweder ist sein Regelwerk für mich als Teil der digitalen Generation so unerhört, dass ich mich vehement gegen seine Tipps wehre, er mich also mit meiner eigenen Technikabhängigkeit konfrontiert und ich sie reflexartig verdränge oder seine 10 Regeln lassen sich einordnen unter lupenreiner “Nostalgie”, im Sinne von “früher als es noch Postkarten gab, war die Welt noch in Ordnung”. Oder die 10 Regeln könnte man als Satire deuten (wofür ich mich nun entscheide und ich sie andeutungsweise auch bei Sascha Lobo meine zu erkennen), die in ihrer Überspitzung bewusst macht, dass es eben keine 10 einfachen Regeln geben kann. Ich entscheide mich für letzteres, denn ich kann ja nur raten und will meine Hochachtung vor Herrn Enzensberger noch eine Weile konservieren.

So oder so finde ich die Art der Ausführungen und den Kontext insgesamt enttäuschend. Sie suggerieren ein Weltbild, in der technologischen Entwicklung eine unaufhaltsame Bedrohung ist. Für den Autor ist die Vision “turbokapitalistische Mensch-Maschine”, der total kontrollier- und durchschaubare Mensch nicht nur ein mögliches Zukunftsszenario, es ist für ihn anscheinend unumstößliche Realität. Das halte ich für sehr schwierig, denn er – und auch der Schirmherr der Artikelserie Frank Schirrmache – tut im Grunde genommen etwas extrem Paradoxes: Er installiert und festigt ein Weltbild, obwohl er es eigentlich zugleich bekämpfen will. Denn um etwas zu bekämpfen muss es schließlich zunächst einmal existent sein. Sonst wäre der Kampf ja unsinnig. Indem man behauptet es IST da, ist es halt auch bei den unreflektierten Lesen tatsächlich da. Woher sollten Mensch es sonst wissen? Doch nur aus den Medien. Soweit zu Enzensberger.

In Frank Schirrmachers Artikel u.a. über den Selbstoptimierungswahn argumentiert er u.a. mit den Kybernetikern, die sich zeitweise der Vision hingaben Menschen wie Maschinen zu betrachten, um sie zugleich bestmöglich kontrollieren zu können (Da waren sie vermutlich nicht die Ersten und werden nicht die Letzten sein und es sagt doch eher viel mehr über menschliche Herrschaftsphantasien aus als über Technologie, oder?). Nur ist es eben auch ein Unterschied ob man einer Fantasie folgt oder ob es Wirklichkeit ist oder sein könnte. So ganz stimmt das mit den fanatischen Kontroll-Kybernetikern eben auch nicht. Es gab nämlich innerhalb der damaligen “Bewegung” (ein Häufchen kunterbunter, sehr kluger Wissenschaftler) eine durchaus kritische Auseinandersetzung über die Frage ob der Mensch sich überhaupt so einfach kontrollieren und nachbauen lässt. Einer der wichtigen Denker der Kybernetik, Heinz von Foerster, war bis zu seinem Lebensende auch der größte Kritiker von dieser Fantasie der Kontrolle und Berechenbarkeit. Er betrachtete mit großer Sorge das postulierte Weltbild “Der Mensch sei eine triviale, also durch und durch durchschaubare und nachbaubare Maschine”. Bis zum Lebensende war er davon überzeugt, der Mensch und schon gar nicht die komplexen Beziehungen in der er lebt, sei berechenbar. Das Bild der trivialen Mensch-Maschine, so von Foerster, sei nur eine grobe Metapher und hat in keinster Weise etwas mit Realität zu tun. Doch diese Realität wurde Zug um Zug als Wirklichkeit konstruiert, unter anderem eben auch durch Medien:

“Allerdings betrieben nicht allein und ausschließlich die frühen Kybernetiker diese Parallelisierung von Mensch und Maschine oder von Gehirn und Computer; auch Journalisten haben an der Verbreitung dieser Analogien ihren ganz gewaltigen Anteil. Es klang einfach aufregend, wenn man schreiben konnte: Das Gehirn funktioniert wie eine Maschine, ja schlimmer noch, es ist NICHTS ANDERES ALS eine Maschine.”

Von Foerster: “Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners” S. 111

Die Geschichte der totalen maschinelle Kontrolle, der künstlichen Superintelligenz ist anscheinend einfach zu gut, als das sie von Journalisten ignoriert werden kann. Und sobald diese Metapher ausführlich in den Medien gespielt wird, festigt genau das auch wiederum zirkulär die Wirklichkeit der Medienempfänger. Ich lese uf dem aktuellen Spiegel-Titel: “Google strebt die Weltherrschaft an” und denke somit “Ahh. Google strebt also tatsächlich die Weltherrschaft an.” Das ist das massive “Problem” des angeblich so objektiven Journalismus. Er will die Wirklichkeit beschreiben, also die Welt wie wirklich ist und ist sich dabei leider viel zu selten bewusst – oder hinterfragt sich kritisch -, dass er die Wirklichkeit gleichzeitig mit erschafft, indem der Journalismus (was ist eigentlich DER Journalismus?) versucht etwas zu beschreiben, was sich als objektives Ganzes aber einfach nicht so abbilden lässt. So wie die Welt nicht in 10 Sätzen zu beschreiben ist, kann man die Totalkontrolle nicht mit 10 Regeln in den Griff bekommen.

Was ich bei der Debatte schwerstens vermisse ist eine wirklich differenzierte und unaufgeregte Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich vermisse im ersten Schritt viel zu viele Fragen und sehe noch viel zu viele überstürzte Antworten, die sich alle zugleich in eine Richtung zu bewegen scheinen: Früher war alles besser. Die Technik ist an allem Schuld. Entweder kann etwas nur gut oder nur böse sein. Das Internet ist entweder ganz ganz oder ganz kaputt.

Wir sollten meines Erachtens im ersten Schritt viel mehr Fragen stellen und uns vor allem auf uns selbst konzentrieren – uns als Menschen, als die Erfinder und aktiven Bediener der Maschine. Uns permanent dabei zu hinterfragen und nicht immer HINTER den Maschinen verstecken. Ich wünsche mir vor den Antworten also viel mehr Fragen wie diese:

Was bedeutet eigentlich Überwachung? Seit wann gibt es das? Ist das per se schlecht oder kann das auch hilfreich sein? Für was, also zu welchem Zweck wird eigentlich überwacht? Gibt es unterschiedliche Motivationen? Ist Überwachung an sich schlecht oder wird es erst in Kombination mit einer Bestrafung oder einer gewaltsamen Konsequenz problematisch? Ist die Tatsache, dass man mich beobachtet – ohne dass ich es merke – per se schlimm oder muss erst ein Sondereinsatzkommando meine Wohnung stürmen, weil ich unter den Verdacht gerate ein politisher Feind für eine bestimmte Herrschaftsriege zu sein? Macht es einen Unterschied ob ich weiß dass ich überwacht werde? Wenn ja, welchen genau? Was macht die Tatsache, dass wir überwacht werden mit uns als menschen? Wer profitiert davon dass wir wissen dass wir überwacht werden? Wer bedient eigentlich all diese Überwachungsinstrumente? Wer überwacht die Überwacher? Was sind das eigentlich für Menschen? Oder sind es wirklich nur Maschinen? Was wären die Maschinen ohne Menschen? In welchem Auftrag arbeiten die Überwacher? Wer profitiert eigentlich ökonomisch und psycho-soziologisch von Überwachung? Und wer profitiert von der Berichterstattung über Überwachung? Vor dem Schutz vor Überwachung? Der Vermeidung von Überwachung? Schützt uns der totale Technikverzicht eigentlich vor Überwachung? Gibt es überhaupt einen Schutz? Ist Selbstoptimierung, also Selbstüberwachung, per se etwas schlechtes? Warum? Kommt es nicht eher auf den Zweck der Optimierung an? Wer hat eigentlich das Ideal eines kapitalistischen Leistungsträgers in die Köpfe der Menschen gesetzt, auf den wir uns angeblich alle hinoptimieren sollen? Warum tun es trotzdem nicht alle Menschen, obwohl wir doch so perfekt überwacht und kontrolliert werden? Was ist dieser kapitalistische Leistungsträger eigentlich? Wie hat sich der Begriff “Kapitalismus” im Laufe der Jahrhunderte verändert? Seit wann gibt es den überhaupt? Wieviele unterschiedliche Vorstellungen davon geistern eigentlich durch unsere Köpfe? Ja und überhaupt, wie sehen das andere Kulturen? Ist die amerikanische Sichtweise auf das Thema eine ganz andere als die europäische oder die deutsche oder die indische oder die chinesische? Und welche Rolle spielen dabei die Medien und ihre Vertreter? Wollen die Medien rein ökonomisch unabhängige Aufklärung – frei von Eigeninteressen und der Verpflichtung zur objektiven Wahrheit? Warum nutzen die Medien selbst die Überwachungstools und Datenauswertungen? Wieso fordert man Datenschutz ein und ist im gleichen Atemzug bereit ihn zu mißachten? Was ist eigentlich Datenschutz? Warum müssen wir unsere Daten schützen? Vor wem? Womit beutet uns Facebook, Google und Co eigentlich aus? Was nehmen sie uns weg? Womit verletzen sie uns? Was bedeutet eigentlich “Ausbeutung”? Wann ist man eigentlich ausgebeutet? Wer definiert das?

Man kann erahnen, dieser Fragekatalog ließe sich beliebig lang fortsetzen. Worauf ich am Ende hinaus will: Das Thema ist viel zu komplex, viel zu nicht-trivial, viel zu wichtig, als das wir mit 10 einfachen Regeln und jeder Menge Schauergeschichten auch nur ein bißchen weiterkommen. Wir sollten in erster Linie nahe am Mensch bleiben. An seinen Bedürfnissen. An seiner Motivation. An seiner unterschiedlichen Lebenswelten. An seiner extremen Ambivalenz. An seinen Stärken und Schwächen. An seinen unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen. An seiner Ethik. Ja genau, eine ethische Diskussion würde ich mir wünschen und keine technologisch-algorithmisch getriebene – auch wenn das viel einfacher ist und sich viel besser verkauft auf den Titeln der durchökonomisierten Printprodukte. Aber das würde ja auch bedeuten, dass die Journalisten und ihre Zunft sich selbstkritisch hinterfragen müsste. Unangenehm. Oder?

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