EN: This post in German discusses the question if one can learn „change and innovation“. It is an excerpt of a current paper [1] about Karlshochschule’s 5th semester module „change and innovation“ and its didactical framework #LdL („Lernen durch Lehren“ – „Learning by teaching“) conceptualized by the French-German didact Professor Jean-Pol Martin.
DE: Dieser Post diskutiert die Frage, ob man den Umgang mit Innovation lernen kann. Er ist im Wesentlichen ein Auszug aus einem Paper [1] über das Modul “Change & Innovation” an der Karlshochschule und sein didaktisches Konzept LdL (“Lernen durch Lehren”), das vom französisch-deutschen Didaktiker Jean-Pol Martin entwickelt wurde.
„Handle stets so, dass die Zahl Deiner Möglichkeiten wächst.“ Dieser Imperativ des Philosophen Heinz von Foerster gilt umso mehr, je schneller sich unsere Welt technisch und gesellschaftlich dreht. Unternehmen und andere gesellschaftliche Organisationen, die dauerhaft überleben wollen, müssen immer wieder aufs Neue in der Lage sein, Handlungsalternativen zu generieren, bevor der Zug abgefahren ist.
Die daraus resultierende Frage, ob man den Umgang mit gesellschaftlichen und organisatorischen Wandel sowie zukunfts- und innovationsorientiertes Denken und Handeln wohl lernen kann, habe ich mir vor einigen Jahren intensiv stellen müssen. Damals haben wir an der Karlshochschule International University das englischsprachige Modul „Change & Innovation“ (CHIN) geschaffen, das ich als Modulverantwortlicher entwickeln und seither in verschiedenen Studiengängen lehren durfte. Dabei führt allein das Verb „lehren“ schon auf eine völlig falsche Fährte, denn eigentlich sollte an einer Hochschule, wenn man sie denn ernst nimmt, nicht das Lehren, sondern ein gemeinsames erschließendes oder forschendes Lernen im Mittelpunkt stehen.
Zu meiner Zeit als Student war es noch Gang und Gäbe, dass die Studierenden einen Wissenskanon aufzusaugen und in einer Prüfungssituation reproduzieren, um die akademischen Formalweihen zu erhalten: Auch bei mir war Schein-Wissen nicht selten ein Scheinwissen. Leider hat sich seither die Welt der Hochschulen nicht an allen Stellen weiter gedreht. Wenn wir die Herausforderungen von technischem und sozialen Wandel, von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und von explodierendem Wissen mit immer kürzeren technischen Lebenszyklen ernst nehmen wollen, sollten wir nicht dann auch versuchen, das Lernen anders zu verstehen? Zumindest scheinen mir bestimmte akademische Lern- und Prüfungsrituale bezogen auf die Herausforderungen, denen sich angehende Manager in internationalen Markt- und Wettbewerbsumfeld agierenden Unternehmen stellen müssen, manchmal recht bizarr zu sein. Mir scheint’s mitunter, als würde nicht das gelehrt, was für die Lernenden wirklich wichtig ist, sondern das, was man leicht prüfen und messen kann. In einer Zeit, in der das enzyklopädische Wissen (aka Wikipedia) für jeden zu jeder Zeit zur Verfügung steht, scheint es mir vor allem darum zu gehen, Zusammenhänge zu identifizieren, Haltungen zu entwickeln und gerade das scheinbar Offensichtliche stets aufs Neue zu hinterfragen. Wir nennen das Orientierungswissen, denn: Wenn sich die Welt vorne dreht, fallen unsere Grundannahmen hinten herunter.
Um die Herausforderungen dieser Welt zu bewältigen, bedarf es neben der Rules & Tools, die die Studierenden in den ersten beiden Studienjahren kennengelernt haben, auch darüber hinaus gehender Kompetenzen, nämlich das erwähnte Orientierungswissen, dessen Erwerb in diesem Modul eine zentrale Rolle spielen soll. Dieses Thema und das Modul durfte ich auf Einladung der Bayer AG anlässlich des MINT-Tages im Frühjahr 2013 vor hochkarätigem Publikum in Leverkusen vorstellen. Den Tenor dieses Vortrages habe ich inzwischen auch zu Papier bringen können [1].
MINT-Tag 2013 Vortrag Prof. Dr. Lutz Becker from MINT Zukunft schaffen on Vimeo.
Im Modul „Change & Innovation“ wird auf die von dem französischen Didaktiker Jean-Pol Martin in den 1980er Jahren ursprünglich an der Hochschule Eichstätt-Ingolstadt entwickelte Methode „Lernen durch Lehren – LdL“ (Grezga, J., 2011) zurückgegriffen. Dabei gab es gerade in der Konzeptions-und Anlaufphase des Moduls einen Austausch zwischen Martin, anderen Didaktikern, und mir als Modulverantwortlichen über verschiedene Medien, wie etwa Facebook. Die Idee hinter LdL: Studierende sollen unter anderem die eigenen Perspektiven in die Lehre einbringen und hohe Eigenverantwortung für das Lernen in der Gruppe übernehmen. Im konkreten Fall des Moduls „Change & Innovation“ geht es zudem um Multiperspektivität (jede Studierende bringt strukturiert eigene Erfahrungen und Sichtweisen in den Lernprozess ein) sowie darum, Inhalte moderierend und zugleich überzeugend zu vermitteln – eine Fähigkeit, denen sich angehende Manager in einer schnell drehenden Welt zunehmend stellen müssen. Ohne Zweifel wird damit in der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre, in der nach wie vor „Druckbetankung“ mit Formeln und Modellen und Stoffbulimie vorzuherrschen scheinen, Neuland betreten. (Tacke, O., 2011) Die didaktische Methode „Lernen durch Lehren – LdL“ zeichnet sich im wesentlichen durch drei Komponenten aus: Ersten die Methode fördert Vermittlungskompetenz der Studierenden, zweitens gibt sie ihnen die Chance und Motivation, sich sich tief in ein Thema einzuarbeiten und Expertenwissen nachhaltig zu akquirieren, und drittens fördert die Methode einen Perspektivenwechsel, der für dem Umgang mit Wandel und Innovation unabdingbar ist.
Das fundamentale Prinzip des Lernens durch Lehren ist also, den Studierenden so viel Lehr- und Lernverantwortung wie möglich zu übertragen, und die Studierenden so weit wie nur möglich für den Lernerfolg ihrer Gruppe verantwortlich zu machen. Es geht vor dem Hintergrund einer konstruktivistischen Didaktik darum, dass das „Lehr-Paradigma durch das Lern-Paradigma ersetzt wird. (…) Derjenige, der lernen soll, rückt in den Vordergrund und erscheint als der aktive und autonome Konstrukteur; Lernen kann nicht erzeugt, so lautet eine zentrale Annahme, sondern nur ermöglicht werden.“ (Pörksen, B., 2013: 31)
Über die regelmäßig jedes Semester an der Karlshochschule stattfindende standardisierte Evaluation der Lehre hinaus interessierte mich vor allem, wie Absolventen des Moduls Change & Innovation rückblickend ihren Lernerfolg bewerten. Insgesamt 40 Absolventen des Moduls der vergangenen Jahre haben im Frühjahr 2013 einen relativ umfangreichen Fragebogen ausgefüllt. Hierbei handelt es sich um eine sehr heterogene Studierendengruppe, vor allem aus den Studiengängen „International Marketing“, „Messe-, Kongress- und Eventmanagement“, „Internationales Tourismusmanagement“, „Energiemanagement“, „Kunst-und Kulturmanagement“ oder „International Business“. Zudem haben regelmäßig „Inbounds“, das heißt internationale Studierende, die ein oder mehrere Semester an der Karlshochschule absolvieren, am Modul mitgewirkt.
Ziel der Analyse war es, ein hinreichend gutes „Stimmungsbild“ zu bekommen, auf dessen Basis gegebenenfalls Anpassungen und Reformen des Moduls vorgenommen werden können. Zudem haben sich hieraus neue Forschungsfragen ergeben, die bei künftigen Untersuchungen berücksichtigt werden sollen.
Mich interessierte zum Beispiel, ob LdL dazu beiträgt, Methoden oder Theorien besser zu verstehen. Dem stimmten immerhin 30 von 40 anonym befragten Modulabsolventen zu.
Auch war es unter anderem wichtig zu verstehen, ob und inwieweit das Modul das Interesse an Innovation fördern kann. Dem stimmten immerhin 27 der 40 Absolventen des Moduls zu.
Wie wohl alle meine Kolleginnen und Kollegen, schätze auch ich mich als “Überzeugungstäter” ein. Deshalb begeistert es mich immer wieder, welches Engagement viele Studierende in dem Modul an den Tag legen. Um nur zwei von vielen Beispielen zu nennen, hat unsere Alumna Denise Schuler in Modul “Change & Innovation” ein Modell entwickelt, das sie im Rahmen ihrer Bachelorthesis weiter vertiefte. Letztlich haben wir das Thema nach ihrem Studium nochmals gemeinsam aufgegriffen und zu einem gemeinsamen Paper weiterentwickelt (Schuler/Becker, 2014), oder ich denke etwa an den Film über Open Innovation aus der LdL Session von Sara Heimolinna und Mona Wick im vergangenen Semester.
Völlig von den Schuhen gerissen hat mich der Kommentar von Lee-Derek Donohue, ein wirklich engagierter Student aus den USA, der auch mich immer wieder auf’s neue inspiriert hat: “Studying here my thirst for knowledge has grown exponentially.”
Deshalb mache ich den Job!
[1] Dieser Post gibt stellt mehr oder weniger einen Auszug aus folgendem ausführliche Beitrag dar:
Becker, L. (2014): Ob man den Umgang mit Innovation und Wandel wohl lernen kann? – Ein Erfahrungsbericht; erscheint in: Kreklau, C./Siegers, J.: Handbuch der Aus- und Weiterbildung, Neuwied (Wolters Kluwer)
Literaturhinweise
Becker, L./Ehrhardt, J./Gora, W. (Hg.) (2008): Führung, Wandel und Innovation, Düsseldorf (Symposion)
Becker, L./Gora, W./Michalski, T. (Hg.) (2014): Business Development Management – Von der Geschäftsidee bis zur Umsetzung; Düsseldorf (Symposion)
Comelli, G. & Rosenstiel, L. v. (2009): Führung durch Motivation. 4.: München (Franz Vahlen)
Grzega, J. (2003), LdL in universitären Kursen: Ein hochschuldidaktischer Weg zur Vorbereitung auf die Wissensgesellschaft. http://www.lernen-durch-lehren.de/LDL_ALT/material/berichte/uni/ldl.pdf
Grzega, J. (2005). Learning By Teaching – The Didactic Model LdL in University Classes, http://www.joachim-grzega.de/ldl-engl.pdf
Grezga, J. (2011): Das Leben für Lerner und Lehrer spannender machen. Eine Einführung in LdL: in: Berger, L./Grezga, J./Spannagel, Ch. (Hg.) Lernen durch Lehren im Fokus. Berichte von LdL-Einsteigern und LdL-Experten. Berlin (ePubli)
Müller, A. P. (2011): On Didactics at Karlshochschule. http://blog.karlshochschule.de/2011/08/31/on-didactics-at-karlshochschule/ (30.01.14)
Müller, A. P./Becker, L. (eds.) (2013): Narrative & Innovation. New Ideas for Business Administration, Strategic Management and Entrepreneurship: Heidelberg (VS research)
Pfriem, R. (2011): Unternehmensstrategien – Ein kulturalistischer Zugang zum Strategischen Management; 2.: Marburg (Metropolis)
Pörksen, B. (2013): Abschied von der Paukmaschine: Die Idee einer konstruktivistischen Universität, in: Lernende Organisation 72:27-40
Schuler, D./Becker, L. (2014): Lernende Organisationen gehen ins Netz; in: Becker, L./Gora, W./Michalski, T. (Hg.): Business Development Management – Von der Geschäftsidee bis zur Umsetzung; Düsseldorf (Symposion)
Stern, E. (2013): Interview, geführt von Alexandra Werdes und Urs Willmann: Die Zeit Nr. 15, 4. April 2012: 21
Tacke, O, (2011): LdL in den Wirtschaftswissenschaften – Eindrücke eine Einsteigers: in: Berger, L./Grezga, J./Spannagel, Ch. (Hg.) Lernen durch Lehren im Fokus. Berichte von LdL-Einsteigern und LdL-Experten. Berlin (ePubli)
Weitere Quellen
Leitbild der Karlshochschule: http://karlshochschule.de/fileadmin/files/leitbild-karlshochschule.pdf
Modulbeschreibungen: http://karlshochschule.de/fileadmin/files/Modulbeschreibung-Bachelorstudiengang-Internationales-Marketing.pdf
LdL-Portal: http://www.ldl.de
ZUM-Wiki: http://wikis.zum.de/zum/Kategorie:Lernen_durch_Lehren
Blog von Jean-Pol Martin: http://jeanpol.wordpress.com/?s=LdL
Der vom Modul „Change & Innovation“ inspirierter Blog von Sara Heimolinna, einer finnischen Teilnehmerin im Wintersemester 2013-2014: http://changeandinnovation.tumblr.com
Ein von Sara Heimolinna und Mona Wick für eine LdL-Session über „Open Innovation“ produziertes Video auf YouTube: http://www.youtube.com/watch?v=Ps2BS0BPIhc&