Marken, Konsum und außerparlamentarische Politik

Das alte 4-P-Marketing-Modell wird bei uns im Studiengang “International Marketing” längst nicht mehr gelehrt und ich hoffe woanders auch nicht mehr wirklich – jedenfalls nicht in seiner bisher so reduzierten Form. Denkt man heute nämlich über die strategische Ausrichtung von Marketing nach, kommt man mit etwas Phantasie und Wortgeschick sehr schnell auf einen zweistelligen P-Betrag. Kurzum: Marketing ist weitaus mehr als Produkt, Preis, Promotion und Placement – so wie es bisher in den äteren Lehrbüchern steht. Ein enorm wichtiges, fehlendes P ist meines Erachtens das P für Politik. Hä? Sind Marken politisch? Na klar!

Während etwas über 70% der Deutschen ihr Kreuz am Sonntag für eine mehr oder weniger politisch eindeutige Richtung während der Bundestagswahl gemacht haben, wählen nahezu alle Menschen tagtäglich an der Urne der Supermarktkasse oder des Online-Shops eine politische Ausrichtung. Der Akt des Konsums selbst ist längst zum Politikum geworden, wie auch der aktuelle Leitartikel in der Zeit (39/2013) “Soll ich wählen oder shoppen?” anschaulich beschreibt. Ja, man könnte sogar so weit gehen zu behaupten, dass wir durch unseren Konsum überhaupt die letzte verbliebene. dauerhafte Chance haben – wenn schon nicht durch Wahl der Politik, sondern durch unseren Konsum – die Wirtschaft direkt demokratisch mit zu gestalten.

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Mit unserem Konsum entscheiden wir eben nicht nur welches Produkt wir brauchen oder wertschätzen, nein, mittlerweile belohnen und bestrafen wir durch unsere Transaktion auch die politische Haltung eines Unternehmens oder einer Marke. Discounter wie H&M oder Lidl werden solange ihre Wertschöpfungspresse betreiben bis wir als Verbraucher unser eindeutiges Veto einlegen. Andererseits werden wir das auch nicht tun, solange wir der Meinung sind, uns immer alles leisten können zu müssen oder wir selbst im Niedriglohnsektor “gefangen” sind. Discounter sind eben auch ein selbstnährendes System. Sie drücken die Löhne ihrer eigenen Mitarbeiter und Lieferanten, damit sie diese zugleich mit billiger Ware beliefern können. Billiges erzeugt Billiges. Und ganz ohne politische Rahmenbedingungen scheint es auch nicht wirklich zu funktionieren.

Und auch im hochpreisigen Segment sieht es nicht wirklich besser aus. Natürlich ist der Erfolg einer (noch) Luxusmarke wie Apple auch durch Meldungen rund um die unzureichenden Produktionsbedingungen ungebrochen, aber vielleicht auch nur weil die Marke und vor allem die gesamte Branche derzeit noch den Eindruck erweckt, es gäbe auch gar keine Alternativen unter fairen Bedingungen. Denn alles entspringt mehr oder weniger aus der gleichen Quelle.

Doch seit gestern könnte dieser alternativlose Zustand vielleicht minimal ins Wanken geraten sein. Das ursprüngliche Crowdfunding Projekt “Fairphone”, wurde gestern in London präsentiert. Eine Marke, oder sollte ich sagen Un-Marke, die sich zum Ziel gesetzt hat ein verdammt gutes Smartphone unter nahezu vollkommenen fairen Bedingungen herzustellen. Ob das nun alles wirklich so 100% erfüllbar ist sei mal dahingestellt, viel interessanter finde ich das Projekt aus Sicht des Marketings und der Markenführung – gerade auch im Hinblick auf die Transformation der Marketingdisziplin. Die gesamte Haltung des “Fairphones”, also die Haltung der Marke, die Marke selbst als Stellvertreter dieser Haltung, spiegelt sich auch in der gesamten Kommunikation rund um die Produktpräsentation wieder. Statt aufwendiger Bühnenshow mit hermetisch abgeriegelter Location und handverlesenen Gästen, präsentiert man sich bescheiden, hemdsärmelig und vor allem transparent. Man präsentiert sein Produkt nicht von der Bühne herunter, sondern befindet sich mitten im Publikum. Anfassen ist nicht nur explizit erlaubt, sondern Aufschrauben ist auch explizit erwünscht. Die Kombination aus maximaler Transparenz, Kommunikation auf Augenhöhe und Bescheidenheit transportiert am Ende eine Marke, die dem Namen “Fairphone” mehr als gerecht wird. Selten habe ich eine so formvollendete Markenführung gesehen, wobei diese vermutlich gar nicht strategisch auf dem Reißbrett entstanden ist, sondern “ganz einfach” aus der jeweiligen Haltung der Projektmacher natürlich entspringt. Die letzte Marke, die mich mit so einer Haltung zuletzt beeindruckte war Premium Cola.

Fairphone ist nur ein Beispiel von vielen. Ökologisch und nachhaltig orientierte Startups schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Konzepte scheinen auf fruchtbaren Boden zu fallen. Sie scheinen den keimenden Gegentrend zur Discount-Haltung zu befruchten. Der Wert, der hinter einem Produkt steckt, wird nun nicht mehr länger über leere Werbeversprechen und verlockende Lebenswelten konstruiert. Der Wert speist sich direkt aus der jeweiligen politischen Haltung, aus der Fairness gegenüber den Stakeholdern und ein ganz großer Teil ganz einfach aus einer Ehrlichkeit heraus. Letzteres ist die zukünftige Währung der sozialen Netzwerke. Eine Welt, die immer transparenter wird, bestraft die Täuschung und belohnt die Ehrlichkeit. Ehrlichkeit wiederum sollte man nicht mit Makellosigkeit verwechseln, denn Fehler passieren immer wieder und müssen passieren, damit sich Dinge auch verändern können. Aber man kann ehrlich mit Fehlern umgehen oder man kann sie solange vertuschen, bis sie am Ende doch geleakt werden. Die Welt wird sich nicht allein durch den Konsum regulieren, das wird auch nicht von heute auf morgen geschehen, aber je mehr wir darüber bewusst nachdenken, je mehr wir aktiv dazu beitragen, desto größer sind die Chancen, das sich am Ende doch irgendwie etwas bewegt. Das geht sogar so weit, dass wir schon darüber nachdenken, wie Marken uns in Zukunft dabei helfen können insgesamt weniger zu konsumieren. Verrückt oder? Wir haben die Wahl Wirtschaft anders zu denken und zu gestalten. Egal ob wir Marke machen oder Marke kaufen.

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