Eine Krise jagt die andere. Jeder Tag beschert uns einen neuen Patienten am Tropf. Mal ist es eine Bank, mal ein Automobilkonzern, mal eine Tageszeitung. Krise ist überall. Und Schuld sind immer die anderen. Grund genug einmal darüber nachzudenken, ob die Krisen der letzten Jahre nicht alle einen gemeinsamen, tieferen Ursprung haben. Ich vermute nämlich die Krise hat System. Ich vermute wir stecken mitten in einer Sinnkrise. Ich befürchte viel zu viele Menschen tun Dinge, die sie so gar nicht tun wollen, oder nicht verstehen, während viel zu viele Menschen Ideen abwürgen, weil sie darin keinen sofortigen maximalen, börsentauglichen (im Sinne von Tageserfolg) Gewinn sehen und damit wiederum die anderen Menschen frustrieren, die ihren Job gerne machen wollen und Eigeninitiative zeigen. Eine Feedbackschleife, die irgendwann zwangsläufig eine Unternehmung ersticken lässt. Erbsenzähler bremsen Ideengeber aus bis irgendwann keine Erbsen mehr zum zählen vorhanden sind.
1. Erst die Vision, dann das Geld
Das erste was ich meinen Studenten im Modul “E-Business” versuche zu vermitteln ist die grundlegende Haltung um ein Unternehmen oder ein Projekt erfolgreich zu gründen und zu führen: Das was man da tut sollte einem selbst etwas bedeuten. Man selbst sollte das Gefühl haben, dass man mit dem was man tut auch einen Sinn stiftet.
Mit “Sinn” meine ich noch nicht einmal die ganz große Absicht die ganze Welt zu retten (obwohl ich dieses Vorhaben durchaus löblich empfinden würde). Nein, damit meine ich eher die ernsthafte Absicht den Menschen da draußen etwas sinnvolles zu geben. Etwas, mit dem sie ihr Leben und ihre Lebensqualität spürbar bereichern können. Ich vermeide an der Stelle auch den klassischen Begriff “Mehrwert”, denn er verleitet einen memetisch automatisch wieder zu sehr in Richtung Geld. Ein Mehrwert entsteht ja erst dann wenn der Kunde den Sinn erkennt und ihn mit einem Geldwert belohnt. Ich kann als Unternehmen also gar keinen direkten Mehrwert erschaffen, sondern lediglich einen Sinn, den der Kunde anschließend einem Wert zuschreibt. Guy Kawasaki hat es mal ganz gut auf den Punkt gebracht: “The best reason to start an organization is to make meaning; to create a product or service to make the world a better place.” In Bezug auf Sinn muss es auch keinen breiten Konsens geben. Der Sinn muss nicht für alle Menschen zugleich erfüllt werden. Doch sollte man sich in einer globalen vernetzten Welt vor all zu viel Irrsinn hüten. Denn wenn das eigene Vorhaben Sinnzusammenhänge von anderen Menschen bedroht oder zerstört wird es schon schwierig. en.
2. Die Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft transferieren
Steve Jobs hat sich ja angeblich einen Dreck um Marktforschung gekümmert. Was ich aber nicht glaube ist, dass er den Menschen nicht zugehört hat oder nicht ihre Bedürfnisse erkundet hat. Der Witz war doch, Steve Jobs erkannte die konkreten zukünftigen Bedürfnisse der Menschen bevor sie es selbst wussten. Er hat diese Bedürfnisse nicht etwa künstlich erzeugt. Er hat lediglich fest memetisch verankerte Urbedürfnisse in einen neuen technologischen Kontext übertragen. Das iPhone befriedigt so das uralte Bedürfnis das alles könnende Werkzeug zum Überleben immer bei sich in der Tasche tragen zu können. Was steckt denn heute in unserem Smartphone? Unser soziales Netzwerk (unser Stamm), unser Navi (unsere Orientierung) und unsere Shops (unsere Nahrungsquellen). Steve Jobs hat außerdem erkannt, dass ein Werkzeug nicht nur nützlich, sondern auch schick sein kann. So wie vor vielen hundert Jahren die Yatagan, die kunstvoll verzierten Säbel des osmanischen Reiches. Auch sie waren Werkzeug/Waffe und Schmuck und damit Statussymbol in einem. Die unschlagbare Kombination aus Fetisch und Nutzen. Beides stiftet für viele Menschen einen Sinn.
3. Welchen Sinn kann ich Menschen geben?
Im Mittelpunkt wirklich jeder Unternehmung sollte der Mensch stehen, egal auf welcher Seite. Kein Wunder, wenn die sogenannte Realwirtschaft gerade zu bröckeln beginnt. Sie nährt sich immer noch von einem zahlengetriebenen Modell, dem Homo Oeconomicus, der davon ausgeht, der Mensch sei ein “berechenbarer Autist” (M. Zerr), ein Nummernwert. Dabei gibt es nichts unberechenbareres wie den Menschen. Kein Mensch hat bisher verstanden wie die Welt geschweige denn er selbst tickt. Wir suchen und suchen nach Antworten und erhalten Teilantworten aber nie die ganze Lösung. Wer jedoch die Suche aufgibt und den Mensch aus seiner wirtschaftlichen Überlegung einfach heraus kürzt, der darf sich nicht wundern wenn später die großen Löcher aufklaffen.
Meine Haltung lautet: Es geht es um jeden verdammten einzelnen Menschen, den ich treffe. Ich bin zu jedem Menschen freundlich, egal wie er aussieht, egal wer er ist. Jeder zufriedener Mensch, dem ich begegne ist ein Botschafter. Jeder unzufriedener Mensch ist eine große Chance ihn zufrieden zu stellen. Ich glaube nichts respektieren und wertschätzen Menschen so sehr als das Signal, dass man sie ernst und wichtig nimmt. Jeden Einzelnen. Und niemand kann heute mehr wissen, ob “Lieschen Müller” eine nervige und unbedeutende Kundin oder eine verdammt gut vernetzte Bloggerin ist. Auch hier schimmert wieder die Frage der Haltung durch. Ist der Mensch, also mein Kunde, nur eine Zahl oder ein menschliches Wesen wie du und ich?
4. Raum für Forschung und Entwicklung
Was mir an der Unternehmenskultur von Google immer besonders gut gefallen hat war ihre 20% Regelung. Ich glaube tatsächlich, dass diese Regelung maßgeblich zum Wachstum dieses Unternehmens beigetragen hat. Worum gehts? 20% der Arbeitszeit stellt Google seinen Mitarbeitern (keine Ahnung ob wirklich allen und immer noch) für eigene Projekte zur Verfügung, an denen sie rumtüfteln können. Das Google Art Project ist eines davon und einige bereits etablierte und profitable Produkte oder Funktionen haben ihren Ursprung in einem dieser 20% Projekte. Was ich damit sagen will ist folgendes: Neben dem Effekt, dass sich angestellte Tüftler in Projekte mit einem Flow-Gefühl vertiefen können und so die 80 anderen Prozent wahrscheinlich viel leichter wuppen, betreibt der Konzern im Ganzen eine unglaublich wichtige Grundlagenforschung. Die haben ihr gesamtes Unternehmen mit einer Forschungs- & Entwicklungsabteilung ohne starre Bürokratie und einem scheinbar sehr gutem Win-Win-Effekt durchsetzt. Dort wird nicht permanent die frustrierende Frage gestellt: Und? Was nutzt uns das? Dort hat man begriffen, dass freie Grundlagenforschung, freies Tüfteln Innovation befördert die irgendwann (oder auch nicht) zur Sinnstiftung und damit zu einem Mehrwert führt. Ein Konzern, der mal von den klassischen, Skalpellschwingenden Unternehmensberatern besucht wurden und die dann mit der Geflügelschere alles angeblich unnötige (also ohne sofort erkennbaren Nutzen) rausgeschnitten haben werden ein langfristiges Problem haben. Kurzfristig beschwert das den Konzernen Gewinne, weil sie Kosten reduziert haben. Langfristig lässt es sie erlahmen, weil Innovation und das Setting für selbiges das unverzichtbare Rückenmark von Unternehmen im 21. Jahrhundert ist. Wer das entfernt, riskiert es dauerhaft gelähmt zu werden, werden die restliche Welt vorbeirennt.
5. Kunden belohnen statt bestrafen
Sobald Unternehmen anfangen über ihre Kunden herzuziehen beginne ich nervös zu werden. Witzigerweise bemerken manche Branchen gar nicht mehr wie sie das betreiben. Zum Beispiel gibt es ein schönes Mem, das derzeit gerne im Zusammenhang mit allen möglichen Krisen umhergeistert. Es nennt sich “Das Internet ist Schuld”. Das kommt einen so schnell über die Lippen, das man sich gar nicht richtig ausmalen kann, welchen Schaden es anrichtet. Das Mantra “Das Internet ist Schuld” bedeutet übersetzt nichts anderes als “Die Nutzer des Internets sind Schuld” bedeutet übersetzt nichts anderes als “Meine Kunden sind Schuld”. Würden Sie denn bleiben, wenn Sie jemand permanent beschimpft? Ja ihre Kunden haben früher Geld für etwas bezahlt, das ihnen einen Sinn gegeben hat. Tageszeitungen hatten so den Sinn schnelle, weltweite Informationen innerhalb von 24 Stunden zu übertragen. Wenn es nun Träger gibt, die diesen Sinn schneller und billiger leisten, dann muss man sich überlegen wie man diesen neuen Sinn nun wieder übertrumpfen kann. Vor allem bedeutet das, dass sie sich jetzt ganz dringend um ihre Bestandskunden kümmern müssen, statt ihre Zeit zu vergeuden auf die wegwandernde Kundschaft zu spucken und zu schimpfen oder ihnen mit dem Anwalt zu drohen. Die grundsätzliche Haltung lautet also: Wie kann ich meine Kunden permanent belohnen? Wie vermeide ich es sie zu betrafen?
Fazit
Eine Haltung ist die Ausgangsbasis jeder Strategie und damit jeder Taktik und jeder konkreten Idee. Die Summe der Haltungen spiegelt dann eine ganz bestimmte Kultur, ein Setting wieder. Die Haltung “früher war alles besser” lässt einen ständig auf früher zurückblicken und die Haltung “Das war schon immer so” lässt einen in der Ewigkeit verharren. Welche Haltung hast du eigentlich im Leben?