Wollen Anleger belogen werden?

Professionelle Investoren verlangen verstärkt nach undurchschaubaren Finanzprodukten mit kurzfristigem Erfolgsversprechen. Langfristige, überschaubare Anlagestrategien haben es somit derzeit doppelt so schwer. Der Artikel fragt nach den Gründen und Konsequenzen.

Vor einigen Monaten habe ich einen alten Freund wiedergetroffen, der jetzt als Investmentconsultant für institutionelle Investoren arbeitet. Wir hatten uns mehrere Jahre nicht gesehen und so gab es während eines langen Mittagessens viel zu erzählen. So berichtete ich ihm von meiner neu gegründeten Firma und ihrem Ziel, langfristiges Denken bei Anlegern wieder populärer zu machen.

Während meines Vortrags rutschte mein Bekannter immer nervöser auf seinem Sitz herum. Irgendwann platze es aber aus ihm heraus: „Du hast 100% Recht in allem, was du sagst. Es nützt aber nichts. Die Kunden wollen die Wahrheit einfach nicht wissen.“ Dann klagte er mir sein Leid. Natürlich würde er gerne seinen Kunden mit einer langfristig orientierten Anlagestrategie zu einer besseren Performance verhelfen. Wenn er ihnen aber ein Konzept präsentieren würde, dass keine komplexen Finanzprodukte oder undurchschaubare Mathematik enthält, würden sie ihn schlicht und einfach als unprofessionell ansehen und hinauswerfen. Seine Aufgabe sieht er daher weniger darin, Kunden ein optimales Anlagekonzept zu vermitteln. Stattdessen versucht er zu verhindern, dass sich seine Klienten zu stark selbst schädigen.

Vor einigen Tagen ist eine sehr interessante Untersuchung des „Center of Applied Research“ – einem zur State Street Bank aus New York gehörendem Forschungsinstitut – veröffentlicht worden. In „The Influential Investor“ (Paper PDF) wurden über 3300 Investoren sowie andere mit der Investmentindustrie verbundene Personen (Finanzaufseher, Consultants etc.) zum Verhalten von Anlegern befragt. Das Ergebnis war erschreckend. Offenbar trifft die überwiegende Anzahl von Investoren systematisch falsche Entscheidungen. Dies betrifft nicht nur Privatanleger. Insbesondere bei institutionellen Investoren haben die Forscher eine Tendenz ausgemacht, in Produkte zu investieren, deren Komplexität sie eigentlich überfordert. Damit können sie auch die Risiken nicht richtig einschätzen.

Die subjektive Einschätzung meines Freundes wird hierdurch eindrucksvoll bestätigt: Vor allem professionelle Investoren verlangen offenbar undurchschaubare Finanzprodukte, die längerfristigen Performanceaussichten erscheinen zweitrangig. Doch woran liegt dies? Die Researcher des „Center of Applied Research“ haben auch hierauf Antworten gefunden. Im Wesentlichen haben sie drei Gründe ausgemacht: kurzfristiges Denken, generelles Misstrauen sowie Selbstüberschätzung bei Investoren

Meiner Meinung nach hat dies folgende Konsequenzen:

1) Die grundsätzliche Tendenz zu kurzfristig orientiertem Verhalten führt gerade bei vielen institutionellen Investoren zu permanentem Aktionismus. Wenn nicht ständig an den Märkten agiert wird, entsteht anscheinend der Eindruck, man könnte etwas verpassen.

2) Dass Banken und andere Finanzinstitute in den vergangenen Jahren ihre Kunden mit versteckten Gebühren hemmungslos ausgenommen haben, ist inzwischen Allgemeinwissen. Das Resultat dieser Entwicklung ist offenbar, dass viele Kunden inzwischen bei ihren Beratern von vornherein erwarten, dass diese unehrlich sind. Dies hat die fatale Konsequenz, dass Kunden nur noch Berater akzeptieren, die bestätigen, was sie sowieso schon denken. Einem Berater, der seinen Kunden eine neue Idee vermitteln will, wird schlicht und einfach grundsätzlich nicht mehr geglaubt.

3) Es gibt bei den meisten Investoren – und dies betrifft sowohl private wie institutionelle – eine massive Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten, die Finanzmärkte einzuschätzen. Anleger verlangen anscheinend insbesondere deshalb zu komplexe Produkte, weil sie sich für schlauer halten als die übrigen Investoren. Wenn aber fast alle denken, dass sie schlauer sind als die Allgemeinheit, sind es nur die wenigsten tatsächlich.

Der zunehmende Argwohn gegen die Finanzberater treibt inzwischen kuriose Blüten. So hat Prof. Dr. Ankenbrand von der Karlshochschule International University im Rahmen seiner empirischen Wirtschaftsforschung herausgefunden, dass Hedgefonds-Manager zur Vorbereitung von Kundengesprächen inzwischen ganz gezielt ihre Uhren auswählen. Anscheinend sind die Armbanduhren ein wichtiges Signal für die Anleger: Zu teure Uhren deuten auf Abzocke hin, zu billige Uhren auf Erfolglosigkeit. Nur eine Uhr, die weder zu billig noch zu teuer ist, vermittelt dem Kunden das Gefühl, weder betrügerisch noch unfähig zu sein und schafft Bereitschaft für einen Geschäftsabschluss.

Das Grundmisstrauen in die Finanzbranche wird zunehmend zum Problem. Schon 1970 hat Prof. Akerlof in seinem berühmten Aufsatz „A Market for Lemons“ (PDF) am Beispiel des Gebrauchtwagenmarktes gezeigt, wohin grundsätzliches Misstrauen führt: Gebrauchtwagenkäufer können in der Regel nicht beurteilen, ob ihr Wagen versteckte Mängel enthält oder nicht. Deswegen misstrauen sie Gebrauchtwagenhändlern grundsätzlich und verlangen generell einen Preisabschlag. Dies wiederum führt dann dazu, dass eigentlich nur noch die unehrlichen Händler wettbewerbsfähig sind, da sie ja sowieso ihre Mängelfahrzeuge zu überhöhten Preisen verkaufen wollten. Die ehrlichen Anbieter hingegen sollen ihre Wagen unter Wert verkaufen, was für sie aber unwirtschaftlich wäre. Dies führt zu einer Verdrängung der ehrlichen durch die unehrlichen Gebrauchtwagenhändler.

Etwas Ähnliches sehen wir derzeit in der Finanzbranche. Die am Wohl ihrer Kunden interessierten Berater werden aus dem Markt gedrängt oder beschränken sich auf Schadensbegrenzung wie mein unglücklicher Freund. Die Abzocker hingegen passen ihre Verkaufsargumente den Kundenvorstellungen an. Sie übernehmen dann mehr und mehr das Ruder, was längerfristig wiederum das Misstrauen der Kunden weiter bestärkt.

Muss man also die Frage „wollen die Anleger belogen werden“ mit „Ja“ beantworten? Natürlich nicht. Keiner will belogen werden. Aber viele Investoren provozieren, dass man sie belügt. Wenn man seinem Finanzberater mit der Einstellung gegenübertritt: „a) Du sagst sowieso die Unwahrheit und b) ich weiß generell alles besser als die anderen“; dann darf man sich nicht wundern, wenn man es tatsächlich irgendwann einmal nur noch mit Betrügern zu tun hat. Wenn nur noch diejenigen als Berater akzeptiert werden, die eine vorgefasste Meinung unterstützen und die Vorstellung neuer Ideen automatisch als Täuschungsversuch gewertet wird, verkommt die Finanzberatung zu dem, was sie inzwischen vielfach ist: zum Vertrieb von hochriskanten und überteuerten Anlageprodukten.

Der Text wird in leicht abgewandelter Form gleichzeitig veröffentlicht in „Mit ruhiger Hand“ vom 3. Dezember 2012.

Für den Beitrag „Wollen die Anleger belogen werden?“ wurde auf folgende Quellen zurückgegriffen:

George A. Akerlof: The Market for “Lemons”: Quality Uncertainty and the Market Mechanism; The Quarterly Journal of Economics, Vol. 84, No. 3. (Aug., 1970), pp. 488-500 (https://www.iei.liu.se/nek/730g83/artiklar /1.328833/AkerlofMarketforLemons.pdf)

Bernd Ankenbrand: „Watches and alpha males: 5 things selectors look for in a manager“; Interview mit Emily Blewett, Juli 2012. (www.citywire.co.uk/global/watches-and-alpha-males-5-things-selectors-lookfor-in-a-manager/a604633)

Center for Applied Research: The Influential Investor, November 2012 (http://statestreet.com/centerforappliedresearch/doc/the-influential-investor.pdf)

Leave a Reply