Wie eine amerikanische Bewegung das Schuldensystem austricksen will

Worum geht es im Artikel?Die Privatverschuldung in den USA ist gigantisch hoch. Studien- und Hauskredite können kaum noch zurückgezahlt werden. Die breite Bevölkerung scheint in der Zinsfalle zu stecken. Die US-amerikanische Organisation “Strike Debt”, hervorgegangen aus der Occupy-Bewegung, möchte die Bevölkerung über das komplexe Schuldensystem aufklären. Mit ihrem Projekt “Rolling Jubilee” gehen sie noch einen Schritt weiter. Sie sammeln Spenden um Privatschulden bei Banken zu einem Sonderpreis für immer zu tilgen.

“I knew money was a fic­tion, but I didn’t get the mech­an­ism by which it derives its value” –
Steve Colvett

Während 2011 die USA mit 86% der Wirtschaftsleistung 1 verschuldet waren, was noch immer besser ist als was die europöischen Krisenstaaten leisten, ist die Privatverschuldung mit 154% des verfügbaren Einkommens 2 erschreckend hoch gewesen. Jetzt kann man gleich zu Beginn sagen, dass die Amerikaner an vielem selbst Schuld sind, denn sie förderten über Jahrzehnte eine Kultur der unbegrenzten Möglichkeiten und der unbegrenzten Kreditkarten.

Ja, tatsächlich hat der durchschnittliche US Haushalt 13 Kreditkarten und bezahlt über 14% Zinsen auf die im Schnitt 6500$ Schulden. Und wenn man sich veranschaulicht, dass der typische Amerikaner 23 Jahre braucht, um sein Haus ab zu bezahlen, dann sollte man sich fragen, ob dieses Haus nicht vielleicht etwas zu groß ausgefallen ist, oder der Pool unbedingt nötig war. Vor allem, wenn nach der Erstverschuldung auf das Haus neue Hypotheken aufgenommen werden müssen, um Konsumgüter zu bezahlen. 3 Auf der anderen Seite kann man sich aber auch fragen, warum das so ist.

Das Amerika das Heimatland des heutigen Kapitalismus ist, darüber lässt sich nicht streiten. Ob diese Wirtschaftsform aber die richtige für unser Zusammenleben ist, darüber auf jeden Fall. Es spricht Bände, wenn man sich anschaut, wie viel das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt und wie wenig die anderen 99%. Noch beängstigender wird es, wenn man bedenkt, dass zwischen 1979 und 2007 die top 1% ihre Nettolöhne um 275% steigen sehen haben, während es für die restlichen 99% nur 40-60% im Schnitt waren. 4

Die Kosten für ein staatliches Studium haben sich in dem gleichen Zeitraum allerdings vervierfacht, die für ein privates Studium verdreifacht und auch die Gesundheitskosten sind um 400% angestiegen. Der Traum der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten wurde auch in Amerika durch das Medium Geld eingegrenzt, hat ihn für viele Familien gar ganz beendet. 2010 reichten knapp 1,6 Millionen Menschen einen Antrag auf Privatinsolvenz ein 5 (Deutschland 110 000 6) und Eltern leiden an den Studienkrediten, die sie für ihre Kinder aufgenommen haben, um ihnen eine gute Zukunft zu ermöglichen 7.

Das Problem ist vielen ziemlich eindeutig, es ist ein Zinsproblem. Während die, die Geld haben, nämlich immer weiter Zinsen bekommen, müssen die, die dieses Geld brauchen Zinsen zahlen. Das Kapital wird von den unteren Bevölkerungsschichten nach oben gepumpt. Ein Durchbruch scheint unmöglich, denn genug Geld, um alle Schulden zurück zu zahlen, gibt es nicht. Es ist ein Perpetuum Mobile, das Öl, welches unsere Wirtschaft antreibt und zusammenhält. Oder auseinander reißt.

Eine amerikanische Organisation will damit nun Schluss machen. Entstanden aus der “Occupy Wallstreet”-Bewegung, meint Strike Debt (www.strikedebt.org), dass die Banken lange genug Spielchen gespielt haben. Sie wollen mit ihrer Bewegung die Menschen darüber aufklären, wie unser Schuldensystem funktioniert und wie man sich als Privatmensch dagegen schützt und wehrt. Hierzu hat die Organisation ein Handbuch rausgegeben, das “Debt Resistors’ Operations Manual” 8. Denn ein Problem ist sicherlich auch, dass dieses komplexe System von kaum jemandem mehr verstanden wird, was ja letztendlich auch zu der Finanzkrise geführt hat, die wir hatten. Und sie wollen einen Diskurs über ein neues Wirtschaftssystem anregen.

Das deutlich beachtlichere und ambitioniertere Projekt ist aber “Rolling Jubilee” (jubilee = Ablassjahr). Hierbei versucht Strike Debt Spenden zu sammeln, um Schuldner damit von ihren Lasten zu befreien. In Amerika geht dieses ziemlich einfach, da dort Banken Forderungen verkaufen, um ihre Bilanzen zu säubern und sich von den Risiken zu befreien, die solche Schuldtitel mit sich tragen, aber auch, weil sie, wie z.B. bei Kreditkartenschulden, manchmal schon einen Profit mit der Forderung gemacht haben. Forderungen werden dann oft in sogenannten Verbriefungen als Pakete geschnürt und auf dem Markt für deutlich weniger verkauft, als sie Wert sind. Die Schuldeneintreiber versuchen dann so viel wie möglich vom Schuldner zu bekommen. So hat Rolling Jubilee auch gehandelt und in einem Testkauf mit 500$ ganze 14 000$ and Forderungen ergattert, die sie daraufhin aufgelöst haben 9. Während Brooker diese Verbriefungen kaufen und die Schuldner dann bis ins Grab verfolgen, schreibt Rolling Jubilee diese einfach ab und protestiert damit dagegen, dass Schulden billig sind, außer wenn sie eine Bank besitzt. “The very fact that they can buy up debt for pennies on the dollar in the first place is “part of the scandal that we are  trying to highlight.” 10

Einer der Organisatoren, David Rees, sagt dazu: “This is a simple, powerful way to help folks in need – to free them from heavy debt loads so they can focus on being productive, happy and healthy.” 11 Und das Youtube-Video 12 der Bewegung fügt hinzu, dass es nicht so sein sollte, dass man sich für die Deckung von Grundbedürfnissen wie Gesundheit, Wohnen und Bildung verschulden muss und dass wir Bürger die Banken gerettet haben und diese uns nun den Rücken zuwenden. “We don’t owe them anything, we owe each other everything. It’s time for a bail-out of the people, by the people.”

Es ist ein Aufruf nach Solidarität und dazu in dieser äußert prekären Zeit zusammen zu wachsen und ein neues Verständnis von Sozialgemeinschaft zu erschaffen. Deswegen kontaktiert Rolling Jubilee auch seine vorherigen Schuldner und versucht sie zu allererst aufzuklären wie in Zukunft solche Schulden vermieden werden können, aber auch, um sie zum Spenden zu bringen, um sie von der Idee zu überzeugen. Von der Idee, dass es im Leben nicht nur auf die eigenen Interessen ankommt, sondern auch darauf, mal was zu geben, denn es wird zurück kommen.

Man wird auch an dieser Stelle wieder sagen können, dass es die Schuld und die Verantwortung der Schuldner ist und diese Bewegung nur dazu verhilft, dieses Verantwortungsbewusstsein zu schwächen. Dennoch ist es nicht ganz so einfach. Während es wie in vielen Ländern auch Arbeitslose gibt, die keine Lust haben einen neuen Job zu finden und daher von Sozialhilfe leben, ist, gibt es solche Menschen sicherlich auch im Kontext von Schulden. Allerdings sollte man aus der Erscheinung dieser Minderheit nicht gleich das ganze System kaputt reden. Die Organisation hat hierfür einen Blog eingerichtet, in dem Menschen berichten, warum sie in die Schuldenfalle getappt sind und welche teilweise schrecklichen Umstände diesen Weg eingeleitet haben. Denn man sollte nicht vergessen, dass die Kreditkartenschulden oft entstehen, um Grundbedürfnisse zu zahlen (immerhin 40%) und dass 62% der Privatinsolvenzen einer schweren Krankheit folgten. Den besagten Blog findet ihr hier: http://whystrikedebt.tumblr.com/

Zwei Probleme kann es bei diesem Projekt allerdings geben. Während anfangs mit fünf Pennies ein Dollar an Forderungen gekauft werden kann, wird sich dieser Preis sicherlich erhöhen, denn Banken und Kreditoren werden ihre Forderungen höher bewerten, wenn es dafür eine größere Kauf-Nachfrage auf dem Markt gibt. Dies wird dazu führen, dass der Effekt zusammenschmilzt. Wobei gesagt werden muss, dass bei hunderten von Milliarden an Schulden das sicherlich einiges an Zeit beanspruchen wird. Außerdem ist es schwer abzuschätzen, was für Kredite es genau sind, die man aufkauft. Es kann also selten unterschieden werden, welcher Hintergrund den Schuldner dazu veranlasst hat sich zu verschulden und nicht mehr voll zahlungsfähig zu sein. Genauso wird der Graumarkt auf dem Schulden mit rechtswidrigen Konditionen verscherbelt werden angefeuert, was dazu führen kann, dass teilweise solche Kredite aufgekauft werden, die von einem Gericht normalerweise für nichtig erklärt werden würden. 13 14 Allerdings sollte dies nur in einem kleinen Umfang geschehen.

Und so ist es geschehen, dass eine Bewegung von den Menschen für die Menschen, in der Zeit von Ende Oktober bis jetzt (27.11.2012), $8,7 Millionen an Schulden mit $435 000 an Spenden aufgelöst hat, vielen Amerikanern neuen Lebensmut geschenkt hat und hoffentlich eine neue Sozialgemeinschaft hervorbringt.

 

Und so kann man helfen:

1. Donate your account: Ein jedes Projekt braucht Werbung um Aufmerksamkeit zu erregen und neue Menschen von der Idee zu überzeugen. Ihr könnt euer Facebook- oder Twitterkonto spenden und der Organisation damit erlauben täglich, wöchentlich oder monatlich in eurem Namen einen, dem Thema entsprechenden Link zu posten. Mehr Infos dazu unter: http://donateyouraccount.com/StrikeDebt

2. Man kann natürlich auch selber spenden. Erinnert euch daran, dass jeder Dollar (knappe 80 Eurocent) ungefährt 20 Dollar an Schulden abschreiben kann!

3. Wir helfen uns Europäern selber aus der Patsche. Auch hier in Europa haben wir das Problem, welches Zinsen mit sich bringen. Auch in Europa sind viele Menschen in die Schuldenfalle geraten, um Grundbedürfnisse zu decken. Und durch die Krise, die wir durchleben, müssen viele Familien am Existenzminimum knabbern während ihnen die Banken im Nacken sitzen. Zusammen mit Patrick Breitenbach möchte ich die Chancen und Möglichkeiten einer solchen Kampagne hier in Europa erörtern und gegebenenfalls umsetzen. Ein erster Schritt wird hierbei die Konsultation einer Bank oder eines Finanzpartners sein, da man in Deutschland teilweise eine Banklizenz braucht, um Verbriefungen zu kaufen (an dieser Stelle vielen Dank an Prof. Dr. Bernd Ankenbrand für die Auskunft). Wer sich also dafür interessiert, mit uns zusammen solch ein Projekt zu beschnuppern und aufzubauen, der kann sich gerne bei einem von uns beiden melden.

Bis dahin, viele Grüße

Julien Schröder-Gianoncelli

 

Kleine Anmerkung von mir dank eines Kommentars von Prof. Dr. Lutz Becker: Solidarität ist immer gut und auch ein solches Projekt ist ein Akt der Solidarität, welche vermehrt zu sehen, wünschenswert ist. Allerdings dient diese Bewegung, so wie viele, viele andere Spendensammelaktionen, nur dem Ausgleich von externen Kosten, die unsere Wirtschaft, unsere Unternehmen nicht in deren Handeln und in deren Preise miteinbeziehen. Es ist Zeit, dass sich dies ändert und wir von vornherein Preiswahrheit und Solidarität in jeder Facette haben! 

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