Das Internet und die Massenmanipulation – Kann man nicht nicht manipulieren?

Das Buch “Propaganda” – sozusagen das “Necronomicon” der PR-Branche – von Edward Bernays beginnt mit folgenden bemerkenswert ehrlichen Sätzen:

Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist. Wir werden regiert, unser Verstand geformt, unsere Geschmäcker gebildet, unsere Ideen größtenteils von Männern suggeriert, von denen wir nie gehört haben. Dies ist ein logisches Ergebnis der Art wie unsere demokratische Gesellschaft organisiert ist. Große Menschenzahlen müssen auf diese Weise kooperieren, wenn sie in einer ausgeglichen funktionierenden Gesellschaft zusammenleben sollen. In beinahe jeder Handlung unseres Lebens, ob in der Sphäre der Politik oder bei Geschäften, in unserem sozialen Verhalten und unserem ethischen Denken werden wir durch eine relativ geringe Zahl an Personen dominiert, welche die mentalen Prozesse und Verhaltensmuster der Massen verstehen. Sie sind es, die die Fäden ziehen, welche das öffentliche Denken kontrollieren.

Bevor man diese Sätze im heutigen deutsch-europäischen Kontext einer scheinbar aufgeklärten demokratischen Gesellschaft schnappatmungsartig beginnt zu verdammen, sei vielleicht an der Stelle erwähnt, dass Edward Bernays diese Zeilen bereits 1928 verfasst hat. Jedoch keine fünf Jahre später musste Bernays bereits die bittere Ernte seiner gesäten Gedanken zur Manipulation der Masse erfahren. Die Nationalsozialisten konnten gerade auch aufgrund der geschickt inszenierten Propaganda eines Joseph Goebbels die Macht in Deutschland übernehmen und so für viele Jahre die Menschheit mit Terror und Gewalt überziehen. Bernays, selbst Jude mit dem Glück damals bereits in den USA zu leben, kommentierte die angebliche Entdeckung seines Buch “Propaganda” in Joseph Goebbels Bibliothek wie folgt:

“I knew that any human activity can be used for social purposes or misused for antisocial ones. Obviously the attack on the Jews of Germany was no emotional outburst of the Nazis, but a deliberate, planned campaign.“

(aus Larry Tye: The Father of Spin)

Bernays und viele seiner Zeitgenossen – allesamt Mitglieder einer Elite – waren der festen Überzeugung, dass sie im Sinne des Guten und vor allem der Demokratie handeln, wenn sie das Verhalten der Massen bewusst in ganz bestimmte Bahnen lenken. Inspiriert und alarmiert durch die Triebtheorie seines Onkels Sigmund Freud, war Bernays offensichtlich fest davon überzeugt, dass die Masse ein unberechenbares, triebhaftes Etwas ist. Ein monströses Etwas, das von wenigen vernünftigen Wissenden gezähmt werden muss, damit der Plan einer umfangreichen Zivilisation am Ende auch aufgeht. Ein Menschenbild, das u.a. durch die Lektüre “Leviathan” von Thomas Hobbes memetisch über Jahrhunderte hinweg innerhalb der herrschenden Eliten vererbt wurde – bis heute. Ein geistiges Vorbild von Barack Obama ist nach eigenem Bekunden der Theologe und Politikwissenschaftler Reinhold Niebuhr, der unter anderem folgende Einstellung vertrat:

Rationality belongs to the cool observer, but because of the stupidity of the average man he follows not reason, but faith and this naïve faith requires necessary illusion and emotionally potent over simplifications which are provided by the “mythmaker” to keep the “ordinary” person on course.

Ein kleiner Kreis von Wissenden, die selbst ernannte Elite, sieht sich selbst als Gemeinschaft der “cool observer”, also Menschen, die das Wissen und die Wahrheit in der Tasche haben. Menschen und Haltungen, vor denen Karl Popper vermutlich eindringlich gewarnt hätte. Sicherlich sind nicht alle Menschen gleich rational, gleich intelligent und gleich wissend – aber ein entsprechender angenommener Vorsprung legitimiert nicht automatisch Menschen dazu andere zu beherrschen, oder wie Popper sagte:

Der wahre erleuchtete Denker, der wahre Rationalist, will niemals jemanden zu irgendetwas überreden. Nein, er will nicht einmal überzeugen, er ist sich die ganze Zeit über bewusst, dass er vielleicht falsch liegen könnte.

Doch zurück zu Bernays und seiner Peergroup, den selbst ernannten Erleuchteten. Sie lebten also nach einer Wirklichkeitskonstruktion, in der die Masse im Sinne des Guten – repräsentiert durch sie als Wissende – gelenkt werden muss. Nur so würde die Demokratie wirklich funktionieren. Nur so würde die rohe, klumpige Masse zu etwas “kooperatives” und “funktionierendes” geformt werden. Diese Wirklichkeitskonstruktion war also aus ihrer Perspektive heraus betrachtet alles andere als böswillig, denn man wollte ja nur etwas Gutes für die Gesellschaft tun – so wie alle anderen politischen oder religiösen Ideologien das in erster Linie vorgeben.

Das Resultat dieser Denkweise war im Zusammenhang mit der Verbreitung von neuen Massenmedien (wie das Radio oder das Fernsehen) die Erfindung der “Public Relation”, ein Begriff, den Bernays lieber benutzte als das bereits verbrannte Wort “Propaganda”. Die Bedeutung und Intention war jedoch für Bernays die Gleiche. Ein Werkzeug zur gezielten, absichtlichen Beeinflussung der Masse meist durch verdeckte Maßnahmen und Aktionen. Ein grenzenlos naives, brandgefährliches und – wie man in Deutschland 1933 erleben konnte äußerst folgenreiches Handeln, vor allem weil der Ansatz von Bernays sich als ein extrem simples aber erfolgreiches Konzept erwies.

Die Auswirkungen des ersten, großen bekannten “Spin” (wie man PR-Kunststücke auch nennt) von Bernays könnten heute noch spürbar sein. Für die amerikanische Tabakindustrie (American Tobacco Company) ließ er kurzerhand prominente Feministinnen während einer großen Parade mit “Fackeln der Freiheit (Torches of Freedom)” – also brennende Zigaretten – öffentlich marschieren. Eine gekonnt provokante Inszenierung, die dazu führen sollte, dass Frauen in den USA verstärkt zur Zigarette greifen, da das Rauchen bisher ausschließlich den Männern vorbehalten war. Rauchen also als ein Akt der Emanzipation?! Der Plan schien aufgegangen zu sein, denn die Zigarettenindustrie war “happy”. Ganz so moralisch spurlos schien der Auftakt von seiner steilen Karriere nicht an ihm vorbeigegangen zu sein. Jahrzehnte später setzte er sein Können als “Spin-Doctor” für die Anti-Raucher-Lobby ein. Ein weiteres Zeichen dafür, dass er bis zum Schluss an der Methode der Massenmanipulation als “richtiges” Werkzeug der Demokratie festhielt und dabei nur die jeweiligen Themen und Interessensgruppen variabel austauschte. Oder anders gefragt: Ist Massenmanipulation moralisch vertretbar, wenn sie moralisch vertretbare Positionen transportiert?

Doch wie ist die Lage heute, fast 100 Jahre nach Bernays und einer scheinbar durch und durch demokratisierten, globalisierten und aufgeklärten Gesellschaft? Im Kern hat sich wohl kaum etwas verändert. Auch heute glauben die meisten Menschen daran, dass man Andersdenkende vom “richtigen Weg” überzeugen muss. Manipulation ist menschlich, allgegenwärtig und vor allem auch alltäglich. Nicht nur in der Politik und der Wirtschaft unterliegt man permanent der Versuchung Menschen zu manipulieren. Manipulation findet so gut wie in allen großen und kleinen Systemen statt. Erziehung von Kindern im System “Familie” ist beispielsweise ein kontinuierlicher Prozess der Manipulation, auch wenn es in diesem Kontext – gerade von den Eltern – ganz anders bewertet wird. Aber der Kern ist natürlich gleich: Das Verhalten von Kindern wird mit bestimmten Maßnahmen, oftmals verdeckt, in eine gewünschte Richtung gelenkt.

Und was ist mit der besonders gefürchteten Manipulation der Masse? In Zeiten Edward Bernays war die pragmatische Ausführung der Massenmanipulation ziemlich überschaubar und relativ einfach handhabbar. Es gab nur sehr wenige Massenmedien, die ihre Reichweite bestmöglich auf viele Haushalte konzentrieren konnte. Wenige Menschen entschieden über den Informationsfluss an sehr viele Menschen. Das typische Top-Down-Szenario. Information floss ausschließlich und pyramidenförmig von oben nach unten. Bernays Rezept dabei war stets: Schnapp dir die großen leuchtenden Vorbilder der Bevölkerung, die Stars und lass sie sagen, was das Volk denken, tun oder kaufen soll. Das kleine Einmaleins des Behaviorismus und Lernen am Modell.

So simpel ist das heute allerdings nicht mehr. Durch die heutige Bandbreite der Medienangebote hat ein Individuum heute Zugang zu einem wesentlich größeren Kosmos an Weltanschauungen, Lebenswirklichkeiten und Peergroups. (Anstatt 3 Fernsehkanälen stehen einem weltweit zigtausend zur Verfügung). Vormals geografisch und medial voneinander getrennte Interessensgruppen können sich nun mit der neuen Kommunikationsinfrastruktur “Internet” virtuell bündeln und sich bei Bedarf als ernstzunehmende neue Lobby positionieren.

Auch die Verfüg- und Sichtbarkeit von kommunikativen Gegenströmungen ist heute anders. Zu jeder Meinung ist nun in nahezu Echtzeit mindestens eine Gegenmeinung per Klick erhältlich. Jede Ideologie steht nun zahlreiche öffentlich einsehbare Gegenpositionen gegenüber. Der bisher gut geschützte ideologische Panzer ist nun leichter durchdringbar – trotz vermeintlicher Filterblasen. Kein Wunder also, wenn so manche Staaten ihre großen Firewalls hochfahren um sich vor Kommunikation “von außen” zu schützen.

Jedes scheinbar noch so geheime Hinterzimmertreffen ist durch die leicht archivierbare Kommunikation heute ein potenzieller “Leak”. Die vormals so gefestigte Herrschaftsstruktur scheint brüchiger zu wirken.

Ich selbst würde den heutigen Zustand als langsamen aber stattfindenden Prozess der Transparenz der Interdependenz bezeichnen, also eine kontinuierliche Offenlegung aller Beziehunsgeflechte und miteinander verknüpften Interessen und Weltanschauungen durch die Netzwerkstruktur. Es wird nun öffentlich verstärkt gefragt nach: “Was hat der Urheber für ein Interesse? Mit wem ist er verbunden? Wen will er von welcher Wahrheit mit welchen Mitteln und Geschichten überzeugen?” Wer das Vertrauen der Masse gewinnen will muss sich in Zukunft also transparenter geben, ansonsten setzt man sich der Gefahr aus ein Stück weit dazu gezwungen zu werden.

Das Internet schafft Manipulation nicht ab. Ganz im Gegenteil. Gerade durch die Vielschichtigkeit, Geschwindigkeit und Undurchschaubarkeit der Urheberschaft ist die versuchte Manipulation so stark wie nie zuvor. Die Arena hat sich erheblich vergrößert und damit bietet sie auch wesentlich mehr Akteuren mehr Raum um Einfluss auszuüben. Was jedoch verstärkt eintritt sind reflexartig angestoßene Reinigungsprozesse in Form von konkurrierenden Thesen, Behauptungen und unmittelbare Gegenbehauptungen. Auf Fakes folgt die Aufklärung von Fakes.

Dazu mal ein konkretes Beispiel. Bei dem Artikel “Moms tackling the energy crisis” von der US-amerikanischen Communityplattform für Frauen und Mütter, musste ich irgendwie spontan an die “Fackeln der Freiheit” von Bernays clever qualmenden Feministinnenkampagne denken. Der Artikel – vermutlich durch die PR-Abteilung von Shell forciert – erzählt die Geschichte von vielen tapferen Frauen und Müttern, die per Ölsandverfahren die Energieversorgung Amerikas sicherstellen. Frauen, die sich nicht scheuen auch mal die Drecksarbeit von Männern zu übernehmen:

Moms are an impressive lot. Whether juggling a dirty diaper in one hand and a latte in the other or helping to solve the world’s energy crisis, mothers are uniquely qualified to make a mark on the world around them. Case in point: The Athabasca Oil Sands Project in Alberta, Canada.

These days, it’s virtually impossible to claim ignorance when it comes to our energy crisis. While all forms of energy are needed to meet worldwide demand (natural gas, coal, renewables — including biofuels — and nuclear), oil is a crucial component of a long-term solution. Alberta sits upon proven reserves of 170 billion barrels of oil and Shell is working to responsibly extract these reserves — with the help of some very talented and dedicated moms. These women bring unique skill sets to this male-dominated industry, proving that there is no frontier a mom can’t conquer.

Ein “Spin”, wie er in Edward Bernays Buche stehen würde? Junge, patriotische, amerikanische, emanzipierte Frauen und Mütter kämpfen für die Sicherung der angeschlagenen wirtschaftlichen amerikanischen Existenz und verkaufen dabei ganz selbstverständlich nebenher das dazu notwendige Ölsandverfahren?

Fragen wir doch mal einen Menschen, der sich mit dem Thema intensiver beschäftigt hat. Hier ein Paper von Julien Schröder-Gianoncelli (engagierter Student der Karlshochschule, Mitglied der Grünen und interessiert an Themen rund um erneuerbare Energien), der ein wenig ausführlich über die möglichen Gründe und Folgen der neuen fragwürdigen Methoden der Ölförderung geschrieben hat:

Ölsand und Ölschiefer

Das Netz bietet tagtäglich zig weitere Meinungen, Fakten, Geschichten und Gegen-Meme. Sie alle sind theoretisch dauerhaft verfügbar und miteinander verknüpft. Selbst an der Propaganda selbst kann nun eifrig mit diskutiert werden. Diskursmaschine Internet? Diskurse sind für mich jedenfalls der Schlüssel zur Demokratie – oder wie Jürgen Habermas es galanter formulierte:

Diskurse herrschen nicht. Sie erzeugen eine kommunikative Macht, die die administrative nicht ersetzen kann, sondern nur beeinflussen kann.

Das Internet schafft also weder Herrschaft noch Ungleichheit ab. Das Internet ermöglicht breitere Diskurse und damit größere Chancen auf die Beeinflussung etablierter, einseitiger Herrschaftsstrukturen. Es könnte fast schon als eine Art gesellschaftliches Immunsystem zur Abwehr von Ideologien betrachtet werden.

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