“In erster Linie handelt es sich (bei Controlling) um eine Inszenierung von Rationalität. Unsere Studenten beschäftigen sich damit, wie man eine kalkulatorische Wirklichkeit inszeniert, welche Rituale sich im Management abspielen, welche Metaphern verwendet werden, um in einer Organisation Mikropolitik zu machen.”
Prof. Dr. Michael Zerr, Präsident der Karlshochschule International University
Zahlen sind so etwas wundervolles, Zahlen vermitteln uns Menschen immer den Eindruck, als ob man sich voll und ganz auf sie verlassen kann. Zahlen und vor allem die Semantik der Zahlen, die Mathematik, ist eine wundervoll einfache, klare und scheinbar eindeutige Sprache. Aber gerade auch durch diese zugeschriebenen Eigenschaften verführt sie uns Menschen immer wieder dazu die Welt in der wir leben all zu leichtfertig zu trivialisieren.
Die Vermessung der Welt ist ein legitimes Instrumentarium um Komplexität zu reduzieren bzw. wir gehen davon aus, dass Vermessung das tut. Es ist also kein Wunder, wenn gerade in dieser schwammigen Social Media Welt immer wieder nach handfesten Zahlen verlangt wird: Was bringt mir das? Was ist mein Return on Invest? Wie kann ich das messen? Was gebe ich aus und was werde ich dafür wieder sicher zurückbekommen?
Ich sehe derzeit zwei Hauptströmungen des Social Media Managements. Achtung Trivialisierung: Diese Strömungen trenne in meinen Ausführungen bewusst scharf voneinander, um das Thema ein wenig griffiger zu machen.
Strömung 1
Auf der einen Seite haben wir die Annahme, dass es sich bei Social Media um einen weiteren klassischen Vertriebs- und Sendekanal handelt, auf dem ich meine Botschaften an ein Publikum “ausspielen” kann. Damit man dies bestmöglich tut, muss man ggf. auf das eine oder andere Kommunikationsszenario reagieren (hoffentlich nie einen Shitstorm meistern) und zwar am besten immer schön in enger Abstimmung mit der eigenen Policy, den festgelegten KPIs und dem jährlich festgelegten Redaktionsplan, der den Mitarbeitern genaue Anweisungen gibt, welche Themen sie wann und wie ausspielen sollen. Hier ein Gewinnspiel – da ein lustiges Katzenbild. Das ist geplante Social Media Strategie. Das ist eine völlig legitime Variante des Social Media Marketings und diese Version ist auch relativ gut messbar, weil man in dieser Strömung einfach die altbekannten Kenngrößen (vor allem die Reichweite) als Grundlage nehmen kann: Klick- und Fan-/Followerzahlen als Reichweite. Likes/Shares/Retweets als Multiplikation. Streng voneinander separiert ist diese Messung kein Problem und daraus lassen sich auch wunderbar irgendwelche komplexen KPI-Szenarien stricken – sofern man in der Kunst der Inszenierung von Zahlen einigermaßen bewandert ist. Am Ende erhält man dann so etwas einen DAX für Social Media Aktivitäten, eine Balanced Score Card, einen Klout Score etc. etc. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt, hauptsache der Dienstleister, der Controller und der Entscheider haben sich eine Welt erschaffen, in der sie nun den Freiraum erhalten haben, ihre Entscheidungen zu rechtfertigen. Das ist also die zahlengetrieben Variante wie man Social Media Marketing angehen kann.
Strömung 2
Die andere Strömung ist ein völlig anderer Ansatz. Er geht von der Annahme aus ein Netzwerk zu bilden. Es geht dabei um Beziehungen. Aufbau von Beziehungen, Pflege von Beziehungen und – wenn man so sagen will – auch den Vorteil von Beziehungen genießen, zum Beispiel in Form von Kooperationsmodellen oder einfach nur der Weiterleitung von Informationen zum gegenseitigen Nutzen. Diese Beziehungsarbeit ist allerdings so extrem “nicht-trivial”, dass sie so gut wie nicht messbar ist. Genauso wenig können wir exakt messen wie wir mit Menschen befreundet sind. Was für eine Freundschaft oder Liebesbeziehung ist das jetzt? Was würde der Partner alles für mich tun? Kann ich mich drauf verlassen? Beziehung kann man meines Erachtens also nur durchs “Erleben” erfahren, also dann wenn es passiert ist oder Krisen (Shitstorm) oder Begeisterungsstürme auftreten. das ist aber nicht in Zahlen auszudrücken und wenn dann würde es niemals die vollständige Wirklichkeit abbilden.
Mal ein Beispiel: Vielleicht habe ich als kleines Unternehmen oder als kleiner Kulturbetrieb nur 100 Fans, aber was sagt es mir über die Beziehung zu diesen Fans aus? Gar nichts. Vielleicht sind es 100 Fake-Accounts. Vielleicht 100 zufriedene Fans, vielleicht die Hälfte unzufrieden und vielleicht ist ja auch nur EIN Fan darunter, der sich irgendwann als weißer Ritter entpuppt, der den Kulturbetrieb mit seinem Vermögen vor der Pleite bewahren kann, weil er ein echter Fan dieses Betriebes ist. Klar worauf ich hinaus will? Hier geht es um komplexe Wesen, die komplex miteinander interagieren. Alle Menschen sind Blackboxes und wir erfahren erst im Moment der Interaktion, also während der Kommunikation, welche Ergebnisse herauskommen. Sicher ist nur eines: Je stabiler diese Beziehungen, je mehr Begeisterung ich bei mit mir vernetzten Menschen auslöse, desto größer wird der Möglichkeitsraum innerhalb dieser Beziehungen. Das einzige was ich als Organisation also machen kann ist hart und intensiv und vor allem proaktiv am Faktor der Begeisterung zu arbeiten. Das ist nicht in Zahlen ausdrückbar aber relativ gut erfassbar durch gesunden und nicht-trivialen Menschenverstand. Das hat vor allem etwas mit Vertrauen zu tun – auch wieder so etwas unberechenbar unmessbares, oder?
Fazit
Bei Variante 1 versuche ich mir mit der ROI-Formel eine Sicherheit zu konstruieren, die mir als Entscheider oder Dienstleister hilft komplexe Zusammenhänge einzudampfen und Entscheidungen zu begründen – meist vor Menschen, die von alle dem so gar keine Ahnung haben, außer von Zahlen. Dabei handelt es sich aber nie um eine reale, sondern um eine inszenierte Wirklichkeit. Eine Garantie, dass die Berechnung wirklich eintrifft hat man nie. Dazu bräuchte man ein System aus trivialen Maschinen, d.h. Ich füttere den Mensch vorne mit einem Impuls A und hinten kommt garantiert danach die Handlung B heraus.
Bei Variante 2 verfolgt man im Grunde eine serviceorientierte Haltung. Man bietet sich an. Als potenzieller Gesprächspartner, als Freund, als Ratgeber, als Mensch, als Kümmerer, als Händler, als Geschichtenerzähler, als Entertainer usw. Diese Haltung ist proaktiv geprägt, d.h. ich konzentriere mich darauf Gespräche mit Menschen zu führen und somit Beziehungen einzugehen. Ich versuche etwas mit anderen zu teilen und hoffe darauf, dass ich dadurch andere Menschen ermutigen kann auch etwas mit mir teilen. Diese Haltung ist nicht voraussagbar, aber man kann sie per Bauchgefühl ausloten. Man kann sie mit gesundem Menschenverstand bewerten und einordnen. Deshalb liebe ich es wenn Heinz von Foerster zum Beispiel davon sprach, dass er keinen Computer brauchte, weil er selbst der beste Computer auf der Welt ist. Unser Verstand, unsere Emotion ist eine nicht-triviale Maschine, die ein gutes Gespür für andere nicht-triviale Maschinen entwickeln kann. Wir sind die sozialen Wesen. Daher brauchen wir im Social Media Bereich vielleicht schon ROI-Formeln, aber sie nehmen uns keine Entscheidungen oder Handlungen ab. Was man meines Erachtens wirklich braucht, sind einfach nur gute Leute, die ein gutes Gespür für Kommunikation und Beziehungspflege entwickelt haben, die das eigene Unternehmen verstehen und lieben. Die eine Bindung zu der Unternehmenskultur aufgebaut haben und diese Begeisterung auch nach außen vermitteln können um somit andere damit zu infizieren. Alles ist eine Frage der Haltung und die Kommunikation ist nur der Ausdruck dieser Haltung.
Bin ich wirklich ein überzeugter Botschafter meines Unternehmens? Sehe ich Menschen und damit potenzielle Kunden als vielfältige, komplexe Wesen oder betrachte ich sie eher als berechenbare “Muppets”?
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