“Ein Haufen toter Buchstaben? Nein, ein Sack voll Samenkörner.“
Es ist mal wieder Buchmesse und das Beste was ihr passieren kann ist, dass sich die elektronischen, neuen Medien in Deutschland mit ihr thematisch intensiv beschäftigen. Die Fixierung auf das Medium “Papier” scheint weiterhin ungebrochen, auch wenn Amazon jüngst bemerkenswerte Zahlen zum Ebook-Verkauf in Großbritannien veröffentlicht hat. Doch gerade weil immer noch McLuhans Leitsatz “the medium is the message” gilt, ist die Konzentration auf das Medium eigentlich fatal, oder wie es Thomas Zorbach (u.a. Lehrbeauftragter unserer Karlshochschule) so treffend formuliert hat: “Die Buchmesse müsste mittlerweile eigentlich eher in Geschichtenmesse umbenannt werden. Also die “Bookfair” wird zur “Storyfair”. Das würde mal ein neues Bewusstsein schaffen”.
Wie so ein neues Bewusstsein für Geschichten in neue Medien verpackt aussehen könnte, versuche ich mal anhand von 5 schnellen Gedanken zu formulieren. Vieles davon ist für einige Menschen vielleicht nicht wirklich neu, für viele andere dürfte das aber vielleicht mal ganz anregend sein:
1. Story-Universen und das Buch als Marktplatz
Solange eBooks hauptsächlich noch als 1:1 Übertragung von Papier auf Display gesehen werden, ist noch jede Menge Luft nach oben. Das Lesen bzw. “Begreifen” von Geschichten auf elektronischen Devices kann dabei durchaus sehr viel mehr Vergnügen bereiten als das haptische Erlebnis von raschelndem Papier – wie uns transmediale Apps wie “The Fantastic Flying Books of Mr. Morris” oder “Cagot” bereits beweisen konnten. Die Zukunft gehört also den ausgeklügelten Story-Universen, eine Gemeinschaftsarbeit von Autoren, Illustratoren, Motion und Game Designern, Fotografen und App-Entwicklern. Spannend in diesem Zusammenhang wären dann kreative Netzwerke, die sich zusammenfinden, um solch ein umfangreiches, interaktives und multi-/transmediales Projekt zu stemmen. Neben dem ganz großen Wurf, dem Storypaket, wäre auch ein Modell a la “In-App-Purchase” denkbar. Rund um ein Buchtitel könnte man als Kunde einzelne Storyelemente einfach dazubuchen. E-Book kaufen und dann nach und nach das Hörbuch, Spiele, Videos, Autorenkommentare oder Live-Experiences und exklusive Lesungen dazu buchen. Das Buch selbst könnte also irgendwie selbst wieder zu einem Marktplatz werden. Der Buchtitel wird dann zur Dachmarke. Besonders reizvoll könnte das natürlich für die großen Buchserien und Serienautoren sein.
2. Wissenschaftskompatibiltät und Schnittstellen
Ein großes Manko der eBooks ist derzeit die mangelhafte Wissenschaftskompabilität. So ist es derzeit schier unmöglich sauber wissenschaftlich mit Zitaten zu arbeiten, weil die verschiedenen E-Book-Reader zum Beispiel nicht über kongruente Seitenzahlen verfügen. Abhilfe würde da schon die Funktion “Seitenzahl Printausgabe einblenden” sein – egal auf welcher elektronischen Seite man sich gerade befindet. Auch wären Zusatzfunktionen für Wissenschaftler (und damit auch Schüler und Studenten) denkbar, die einem dabei helfen die Informationen besser einzuordnen und abzuspeichern. Eigentlich ein enormes Potenzial der elektronischen Variante, die leider immer noch all zu brach liegt. Eine Kopplung bzw. Schnittstelle zu elektronischen Zitationsprogrammen oder gar Blogs und Wikis wäre da Gold wert. Einfach einen Text markieren und in den virtuellen Zettelkasten ablegen (bibliografisch korrekte Angaben inklusive) wäre wirklich mehr als famos. Auch wenn ich als Kunde zu einem Sach- oder Fachbuch dazugehörige Video- und Audiovorträge angeboten bekäme, wäre das toll.
3. Content related Fan Content
Es wäre doch wirklich fabelhaft, wenn ein Buch mir gleichzeitig auch dazu passenden Web-Content anzeigen würde, also zum Beispiel zahlreiche Fan-Art-Projekte, mit denen die jeweiligen Geschichten vertieft, erweitert und diskutiert werden könnten. Das wäre womöglich ein tolles Instrument zur Fanbindung und -bildung.
4. Immersion Baby!
Wenn ich mit meinen Kindern ins Playmobilland fahre, bin ich immer wieder erstaunt wie toll diese Welt gestaltet ist. Der relativ simple Vergnügungspark für Kindergarten- und Grundschulkinder ist relativ unaufwendig gestaltet (im Sinne von fehlenden Fahrtgeschäften) und rückt die Produkte von Playmobil in den Fokus ohne dabei extrem aufdringlich zu wirken – gleiches dürfte wohl für das Legoland gelten. Es muss ja nicht gleich immer ein Riesenvergnügungspark sein, vielleicht kann man auch einfach mal in die Fußstapfen vom immersiven Theaterstück “Sleep no more” oder das “Event-Schloss” “Burg Frankenstein” treten und es genügt bereits ein einfaches Haus (Shining, Villa Kunterbunt etc.pp.) um ein Buch für eine Weile zum Leben zu erwecken. Neben den festen Installationen gibt es ja auch immer noch die Variante des “Alternate Reality Games”, die in Zukunft wesentlich mehr werden könnten, als ein nischenartiges, involvierendes Marketinginstrument. Die ersten experimentellen “Verlage”, “Agenturen” oder “Studios” gibt es also längst, die spannende Frage wird sein, ob man das auch in ein vernünftiges Geschäftsmodell gegossen werden kann und ob die Teilnehmer dieser “Experiences” bereit sind dafür irgendwann Geld zu bezahlen.
5. Fluid Books
Keine Ahnung ob es so etwas gibt und das ginge wieder in Richtung Abomodell. Ich abonniere ein Buch, die Dachmarke, und erhalte in regelmäßigen Abständen neuen Content eingespeist. Lohnenswert für Projekte wie “Tiny Tales“, wobei da ja Twitter schon der fluide Träger ist. Aber denkbar wäre das auch für spezielle Tagebuchprojekte von namhaften Autoren, die ihre Zeit und ihren Namen nicht unbedingt kostenlos in Blogs vertrödeln wollen.
Ideen wie diese gibt es denke ich genug. Nun fehlt vielleicht nur noch der Mut, die Manpower und das Kapital um solche Dinge in Bewegung zu setzen. Ich bin gespannt, wohin die Reise bis zur nächsten “Geschichtenmesse” gehen wird.
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