Patrick’s letzter Post zum Thema Ideologien brachte mich auf die Idee, Euch an meinen neuen Projekt teilhaben zu lassen. Ich will noch nicht allzu viel darüber sagen, außer dass es um die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts geht – und darum, was wir für die heutige Zeit daraus lernen können. Trotzdem stelle ich hier schon einmal einen noch unfertigen Auszug zur Diskussion:
Herbert Spencer (Entwurf)
Die Familie Spencer genießt in ihrer britischen Heimatstadt Derby wohl keinen besonders guten Ruf. Der Lehrer George Spencer gilt als nonkonformistisch und tut sich auch nicht durch seine Vorliebe für den Klerus hervor. Seinen exzentrischen Sohn Herbert Spencer plagen zeitlebens seine schwache physische Konstitution und hartnäckige Zipperlein. Er beklagt sich über den Störenfried in seinem Kopf, der ihm wohl den einen oder anderen Nervenzusammenbruch beschert. Dennoch gelingt es Herbert, seine seine acht jüngeren Geschwister zu überleben und das damals fast schon biblische Alter von 83 Jahren zu erreichen.
Seine Mitmenschen im viktorianischen England kennen ihn als blässlichen und immerzu kränkelnden Mann mit ausladender Schiebedach-Frisur und ausschweifendem Backenbart. Zu seinen vielen Marotten zählt es, Öhrstöpsel zu tragen. Mit ihnen, so glaubt er, kann er seine Nervosität in Griff behalten, die wohl vor allem dann überfällt, wenn er sich mit seinen Ideen und Argumenten nicht durchsetzen kann. Trotz, oder vielleicht auch wegen seiner Macken, bewegt er sich in den führenden intellektuellen Kreisen des neunzehnten Jahrhunderts Thomas Huxley (“Darwins Bulldogge”), John Tyndall und Marian Evans, die später als George Eliot Berühmtheit erlangen soll, gehört zu seinem intellektuellen Umfeld. Mit Eliot ergibt sich eine lange, wohl eher platonische Beziehung.
Herbert Spencer gehört damit zu den einflussreichsten Figuren seiner Zeit. In soziologischen und psychologischen Fragen gilt er als einer der führenden Köpfe des Inselreichs. Seine Theorien nehmen Darwins Ideen vorweg – auch die später von Darwin aufgenommene Idee vom „survival of the fittest“ stammt ursprünglich aus Spencers Feder. Dennoch bleibt ihm die Anerkennung in vielerlei Hinsicht zeitlebens verwehrt. Das mag wohl in erster Linie, an seinen oft queren Vorstellungen liegen, die in dem von ihm geprägten „Sozialdarwinismus“ münden: die Armen sind sündig und korrupt, ihr Schicksal ihrer Dummheit geschuldet und überhaupt können, so eine populäre sozialdarwinistische These jener Zeit, die Gesellschaft vom Leiden und frühen Tod der Armen nur profitieren. Die Gesellschaft, so Spencer sondert „kranke, schwachsinnige, langsame, unschlüssige und unzuverlässige“ Menschen aus. Wenn sie nicht in der Lage sind zu leben, dann sterben sie und das sei das beste was sie tun können. Als Mitherausgeber des renommierten „The Economist“ sind ihm die Armengesetze ein unerträglicher Dorn im Auge, ebenso wettert er gegen das staatliche Schulwesen und die britische Staatskirche. Sein Credo ist es stets, alle Beschränkungen der unternehmerischen Freiheit und jegliche staatliche Intervention in die Wirtschaft zu verurteilen. Damit gilt Spencer als Vorläufer eines ultrakonservativen Liberalismus und radikalen sozialdarwinistischen Kapitalismus.
Vor allem jenseits des Atlantiks fallen Herbert Spencers Ideen auf fruchtbaren Boden, es werden einflussreiche Magnaten wie Andrew Carnegie, Charles Morgan und Cornelius Vanderbuilt sein, die Spencers Ideen zu Ruhm und medialer Verbreitung verhelfen. Passen seine radikal-meritokratischen Gedanken doch so gut zum amerikanischen Gründungsmythos und den Kulturvorstellungen von Eigentum und Freiheit: Leistung wird belohnt. Status und Erfolg auf der sozialen Leiter spiegeln das Können, die Fähigkeiten und andere Qualitäten der Menschen wider. Wer es nicht schafft, ist also selbst schuld. Schon deshalb sind private Wohltätigkeit und der Wohlfahrtsstaat überflüssig. Unnötig zu erwähnen, dass alle Maßnahmen die einem gerechteren Ausgleich innerhalb der Gesellschaft dienen, rigoros abgelehnt werden.
Die Gedanken Herbert Spencers und vor allem, wie sie in der Geschichte ideologisch interpretiert und instrumentalisiert wurden, ist schon erschreckend. Noch mehr schockieren sollte uns, wie viele Spencer Meme (würde Patrick Breitenbach jetzt sagen) noch im 21. Jahrhundert um uns herumschwirren und immer noch zur Legitimation von Gier, Raffsucht und Unterdrückung herhalten.
Ausgewählte Links zu Herbert Spencer:
http://en.wikipedia.org/wiki/Herbert_Spencer
http://www.victorianweb.org/philosophy/spencer/spencer.html
http://www.iep.utm.edu/spencer/
Bildquelle: Wikipedia