Kony 2012: Zwischen Pop und Propaganda – Eine Analyse

“Kony 2012” ist der bisher wohl erfolgreichste “virale” Film im Internet – jedenfalls bezogen auf die Geschwindigkeit seiner medialen Verbreitung. In nur 5 Tagen wurde der Film von über 70 Millionen Menschen angeklickt. Nicht darin eingerechnet sind all die indirekten Kontakte, die unzähligen Medienberichte, Blogeinträge, Erwähnungen auf Twitter und Videokommentare, die den Film und seine Kernbotschaft thematisieren und damit zusätzlich zur Verbreitung beitragen. Die dafür verantwortliche Organisation “Invisible Children” hat sich und ihren Mitstreitern übrigens vorab das Ziel von “500.000 Online Views” vorgegeben, so kann man es im Handbuch aus dem digitalen “Action Kit” nachlesen. Man kann also durchaus behaupten, dass der Film und die gesamte Kampagne seine ursprüngliche Mission, die Aufmerksamkeit eines Großteils der Bevölkerung in den westlichen Ländern und vor allem der USA auf sich zu ziehen, mit mehr oder minder starker Intensität erfüllt hat. Grund genug sich im Rahmen von Medientheorie und Netzkultur näher mit der Thematik zu befassen.

Im folgenden möchte ich versuchen zu analysieren, warum sich der Film und die daran gekoppelte Kampagne so epidemisch verbreitet hat- ergänzend auch zu diesem Interview. Welche Mechanik liegt der Kampagne zugrunde? Mit welchen narrativen Methoden hat der Film letztlich so viele Menschen dazu bewegt ihn in den eigenen Netzwerken weiterzuempfehlen und parallel dazu auch noch jede Menge Produkte einzukaufen? Mir geht es also weniger um die Frage, ob die verantwortliche Organisation sauber und glaubwürdig arbeitet oder ob sich hinter der Kampagne gar eine große versteckte politische Agenda verbirgt. Ich möchte mich allein auf mein Interessensgebiet konzentrieren, die Medien- und Netzkultur und dessen auffällige Phänomene. Wie schaffen es Inhalte (Meme) sich immer wieder epidemisch über soziale Dienste und Netzwerke bestmöglich zu verbreiten und dabei am Ende sogar noch bei vielen Empfängern eine konkrete Verhaltensweise (Spende) auszulösen? Mit welchen kommunikativen Mitteln erzeugt man eine ganz bestimmte Wirkung beim Publikum? Verhält sich der Internetnutzer anders als beispielsweise der frühe Radiohörer oder Fernsehzuschauer? Welchen Einfluss haben Phänomene wie “Kony 2012” auf unser gesellschaftliches Gefüge? Werden derartige Phänomene in Zukunft eher zu- oder abnehmen?

In den letzten Tagen habe ich mir die Zeit genommen die Kampagne etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Meine Beobachtungen und Interpretationen dienen als Beitrag zu einem größeren Diskurs und ich bin froh über jede konstruktive Ergänzung und jeden schlüssig formulierten Widerspruch.

Am Anfang war das Gefühl

In der Werbe- und Kreativwirtschaft ist das “Moodboard” ein gängiges Werkzeug um beispielsweise dem Kunden die Idee einer Werbekampagne oder Markenarchitektur vorzustellen. Ein solches Moodboard ist dabei nichts anderes als eine Art Collage, erstellt aus einer Vielzahl von verschiedenen gestalterischen Elementen (Bilder, Filmsequenzen oder Audioausschnitten) mit der einzigen Absicht dem jeweiligen Betrachter eine Emotion zu vermitteln. Das Moodboard ist betriebswirtschaftlich betrachtet ein Verkaufsinstrument für Werbeagenturen. Es dient dazu die erste kreative Idee der Kreativen an den Betrachter zu verkaufen und ihn damit dazu zu bringen am Ende noch mehr davon einzukaufen. Das Moodboard soll den Kunden also regelrecht “anfixen”, mit einer ersten Idee infizieren. Meist ist das Moodboard sogar die radikalere und ehrlichere Arbeit einer Agentur, weil oftmals kreativ unverfälschter und noch nicht von Kundenhand oder durch Unternehmenspolitik berührt – kreatives Rohmaterial sozusagen. Das Moordboard ist im filmischen Bereich oft auch weitaus ausführlicher als der fertig produzierte Werbespot, der meist nur auf 30, 60 oder 90 Sekunden begrenzt ist. Im Idealfall ist das Moodboard also pure, mitreissende Emotion in Form einer gut inszenierten Geschichte.

Als ich den Film “Kony 2012″ zum ersten Mal gesehen habe, assoziierte ich ihn umgehend mit einem formvollendeten Moodboard. Viel zu lang für einen Werbespot, viel zu kurz und plakativ für einen Dokumentarfilm und viel zu professionell für eine kleine, eher unbekannte Hilfsorganisation. Mein erster Gedankenimpuls war: Welche große Agentur steckt denn da dahinter? Die Wirkung auf mich als Zuschauer war zugegebenermaßen äußerst fesselnd. Die Komposition der Bilder, die Untermalung mit Musik und die perfekte, simplifizierte Dramaturgie zielten am Ende perfekt ins Schwarze, nämlich mitten in das Zentrum meiner Gefühlswelt. Wenn es nach Neuromarketing-Experten wie Hans-Georg Häusel ginge, würde sich gute Werbung immer in erster Linie auf unser limbisches System, “das emotionale Machtzentrum im Gehirn” (“Brain View“, S.80), konzentrieren. Dort werden die eigentlichen Entscheidungen gefällt, dort muss man, laut Häusel und Kollegen, den Hebel ansetzen um Marken zu positionieren, Produkte zu verkaufen oder allgemein gesprochen kommunikative Überzeugungsarbeit leisten. Mit jedem Mem, jedem informellen Angebot kann der Empfänger wählen zwischen: Akzeptanz (Kauf / Aktive Empfehlung) und/oder Reaktanz (Ablehnung / Passive Empfehlung) oder Ignoranz (Ablehnung / Stille Blockade). Kommunikation kann so gestaltet sein, dass man ihm die Entscheidung vereinfacht, ihn in eine bestimmte Richtung verführt. Kommunikation wird allerdings niemals eine Entscheidung erzwingen können. Sie nutzt lediglich die Gefühlswelt um schneller und tendierter eine Entscheidung zu beeinflussen. Und genau das beherrscht “Kony 2012” in mehrfacher Hinsicht.

Die Befähigung zum aktiven Zuschauer

Der Film “Kony 2012” beginnt mit einem äußerst cleveren Trick. In Werber- oder Beratersprech würde man wohl sagen: “Der Film holt den Zuschauer erst einmal ab.” Er beginnt nämlich an und mit dem Ort, an dem er wahrscheinlich auch gerade betrachtet wird: Dem Internet. Der Zuschauer erfährt in emotionalen Sequenzen etwas über die Magie und die neue Macht des Internets, stellvertretend dafür wird der Mythos der “Facebook-Revolution” herangezogen, also der Einfluss des Internets auf den arabischen Frühling, ein wahrgenommener demokratischer Systemumbruch, der aus der Ferne betrachtet, maßgeblich erst durch Facebook und andere soziale Netze ermöglicht wurde.

Dieser Teil der Erzählung bereitet den Zuschauer auf die Mission von “Kony 2o12” vor. Die Kombination aus “Einfachheit” und “Wirkungsgrad” soll den passiven Zuschauer befähigen, sich zum aktiven Freiheitskämpfer zu verwandeln. Jemand, der aus dem geschützten Raum heraus (Wohnzimmer etc.) per Mausklick die Welt revolutionieren kann. Der Zuschauer erhält sozusagen die Macht den Lauf der Welt mit zu bestimmen – oder wie es im Film viel direkter und ehrlicher formuliert wird: “we are shaping human history”.

Das hat schon fast die Anmutung von einem “Serious Game”, bei denen die Mitspieler nicht nur zum Zweck der Unterhaltung spielen, sondern dabei Bildung erfahren oder aber eben reale Probleme und Herausforderungen lösen. Gerade dieser Trend zur Verspieltheit, in der Kreativbranche gerne mit “Gamification” betitelt, in Kombination mit dem Versprechen die Welt umkrempeln zu können, macht diesen Mechanismus sicherlich sehr anziehend für die jüngere bzw. digital-affine “Generation Facebook”.

Simplify with storytelling

Ein weiteres Erfolgskriterium von “Kony 2012” ist die Übersimplifizierung. Durch den stetigen Einsatz von überzeichneten Dualismen, also die klare Trennung zwischen “Schwarz” und “Weiß” (nicht auf Hautfarbe bezogen), “Gut” und “Böse”, “Geburt” und “Tod” oder “Krieg” und “Frieden”:

Das Ergebnis daraus ist jeweils ein maximaler Kontrast, in dem ein banaler aber memetisch durchaus massentauglicher Spannungsbogen enthält, der in sehr kurzer Zeit von nahezu jedem Menschen kognitiv erfasst und verinnerlicht werden kann. Der überzeichnete Dualismus blendet alle Schattierungen rigoros aus, er verzichtet auf jeglichen komplizierenden Kontext, er reduziert das große Signalrauschen. Entscheidungsvariationen werden dadurch wesentlich reduziert, wobei diese Einschränkung von Entscheidungen mitunter als äußerst beruhigend und entscheidungsaktivierender empfunden und beobachtet werden (vgl. Barry Schwartz: The paradox of choice: Why less is more)

In einer Welt, die tagtäglich neue komplexe Herausforderungen durch die medial variierende Berichterstattung aufwartet, in der Informationen in Echtzeit an uns vorbei rauschen müssen, sehnt sich der Mensch förmlich nach einem “Bewältiger”, einem Filter dieser neuen Welt. Komplexität kann also in gewisser Intensität auch lähmen, denn sie lässt einfache Lösung des Problems nicht zu. Jede Lösung eines Problems erzeugt oft ein ganz neues Problem. Simplizität hingegen, also das Verbergen von Komplexität, wie sie der Film augenscheinlich benutzt, scheint in Anbetracht unserer Informationsgesellschaft wie eine beruhigende Substanz zu wirken. Man kann sich förmlich darin fallen lassen. Besonders deutlich wird die Mechanik des Kontrastes, in einer Szene mit dem 5-jährigen Sohn des Filmemachers und Erzählers Jason Russell. Russell erklärt seinem Sohn den Unterschied von “Gut” und “Böse” anhand von genau zwei Fotos, die er ihm zeigt. Auf dem einem ist “Joseph Kony” abgebildet, auf dem anderen eines seiner Opfer, Jacob, mit dem der Sohn und bis dahin auch der Zuschauer bereits bekannt ist. Das Böse wird über das Bild des Freundes, des Opfers, nicht nur identifiziert, es wird dem Jungen und damit auch jedem Zuschauer vordefiniert.

Um die hochemotionalen Elemente auszugleichen, werden rationale und seriöse Sequenzen entgegengesetzt. So fungiert beispielsweise der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, ein Stück weit als Botschafter für Ratio, Seriosität und Glaubwürdigkeit. Eine vertrauenswürdige Institution mit einem glaubwürdigen Vertreter. Es zählt dabei weniger was er sagt, als vielmehr das was er repräsentiert. Das Vertrauen in die Institution scheint sich somit auch auf den erzählenden Film zu übertragen.

Archetypisches Rollenspiel

Auch die Protagonisten des Filmes sind entsprechend deutlich und vereinfach stilisiert. Alle Hauptfiguren repräsentieren gleichsam eine archetypische Rolle. Der 5-jährige Sohn von Russell übernimmt die Rolle des Kindes, des Engels, dem Symbol der Unschuld. Er ist mit die erste Figur, die in den Film eingeführt wird und zwar in Form der höchstmöglichen Intimität und Emotionalisierung, dem Vorgang seiner Geburt. Eine Geburt ist – neben dem Tod – wohl das emotional markanteste und vor allem intimste Ereignis im Laufe eines menschlichen Lebens. Genau diesen intimen Moment teilt der Filmemacher mit allen Zuschauern. Er überwindet damit die Distanz zum Zuschauer und erschafft ein Klima des Vertrauens. Das geborene Baby selbst symbolisiert die Unschuld der Welt und der dazugehörige Vater wird von nun an die Rolle des Beschützers einnehmen. Die Visualisierung der Geburt ist immer ein klarer Akt der Bindung innerhalb einer Familie. Da es dem Zuschauer erlaubt wird diesen Vorgang zu beobachten wird er durch den Vorgang selbst ein Stück weit Teil des familiären Systems. Auch er wird durch den Akt der Beobachtung an Russell und seinen Sohn gebunden.

Nun folgt der Kontrast. Der Filmemacher führt eine neue Figur ein, “Jacob”, ein Junge aus Uganda, der seine Unschuld verloren hat, in dem er beobachten musste, wie sein Bruder von einer Machete geköpft wurde. Jacob, das Symbol der zerstörten Unschuld, das Opfer, das Leid, sieht seit der Erfahrung mit seinem ermordeten Bruder keinen Sinn mehr in seinem Leben. Auch hier wird der Zuschauer in eine intime Situation hineingezogen. Die Beobachtung und Beschreibung von Tod als maximaler Gefühlskontrast zur vorherigen Geburt. Während der Zuschauer bei der Geburtsszene, dank Spiegelneuronen, noch Glück und Freude empfindet, wandeln sich diese Gefühle in der nächsten, dunklen Szene, schlagartig in Wut und Trauer um. Ein extrem schnelles Wechselbad der Gefühle.

In jenem dunklen Moment verwandelt sich der Erzähler Russell in einen Helden, Ritter, Rächer und modernen Aktivistenanführer. Er verspricht dem Opfer öffentlich vor allen Zeugen (über 90 Millionen Menschen), solange zu kämpfen bis der das Böse aufgehalten hat. In diesem Moment löst sich auch die sogenannte “die vierte Wand” auf und der Zuschauer wird direkt in diesen Pakt involviert: “Es geht nicht nur um mich oder Jacob, es geht auch um Dich! Und wenn wir Erfolg haben, so haben wir auch den Verlauf der Geschichte verändert.” Der Titel und damit auch der Schuldige und das Böse wird enthüllt. Die Mission “Kony 2012” kann nun beginnen.

Nach dem Opfer und dem Helden folgt die Einführung des Bösen. Die bereits erwähnte Szene mit dem 5-Jährigen Sohn des Helden und diverse Einspieler mit dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes definiert “Joseph Kony” eindeutig als das Böse schlechthin. Ausführlich und eindringlich mit nachgespielten Szenen und überzeichneter Visualisierung wird “Kony” als das Böse schlechthin ikonisiert. Höhepunkt dieser Stilistik dürfte das Plakat sein, auf dem er Hitler und Bin Laden als “the worst” eindeutig überstrahlt. Übrigens ein Vorgehen, dass ein Großteil der Opfer von Kony in Ugunda bei Betrachtung des Filmes mehr als beunruhigt hat.

(An der Stelle sei mir auch eine bissige Randbemerkung erlaubt: Wer hätte gedacht, dass das Konterfei von Adolf Hitler zu seinem 113. Geburtstag am 20. April 2012 in den USA breitflächig von zahlreichen Aktivisten plakatiert werden soll – wenn auch nur im Schatten von Joseph Kony und Osama Bin Laden ?)

Um das Böse am Ende jedoch dingfest zu machen, um die Mission zu erfüllen, benötigt der Held tatkräftige Unterstützung. Die “vierte Wand” fällt nun komplett. Der Zuschauer wird nun explizit aufgefordert in die Rolle des Mitkämpfers zu schlüpfen und in die “Army of Peace” (Kontrast lässt grüßen) einzutreten. Passend zum militärischen “Feel” kann man sich auch gleich den entsprechend “Look” zulegen. Die sogenannten “Bracelets”, also Armbändchen, wirken wie militärische Erkennungsmarken. Und überhaupt erzeugt die Uniformierung von jungen Menschen mit rot-schwarzen T-Shirts und dem Signet eines Massenmörders eher beunruhigende Assoziationen – jedenfalls für mich als deutscher, geschichtsbewusster Mittdreißiger.

Ästhetik und Design

Die Gestaltung des Filmes und die Kampagne selbst ist auffällig detailverliebt und sehr konsequent in der Umsetzung. Corporate Identity Experten dürften an der gesamten Kampagne eine helle Freude haben, denn die Kampagne zeigt für meine Begriffe sehr gut auf, dass konsequente und klare Gestaltung einen maßgeblichen Erfolg zur Wiedererkennbarkeit beiträgt. Die Farben der Kampagne beschränken sich auf Rot, Schwarz, Blau und Weiss und werden entsprechend massiv und offensichtlich auch sehr konsequent in allen möglichen Einstellungen eingesetzt.

Besonders eindringlich und auffällig ist auch die Inszenierung und Verfremdung vieler Fotografien und Grafiken. Das Friedenszeichen verwandelt sich in eine Kalischnikow. Bilder von Kindersoldaten und Joseph Kony werden besonders eindringlichen in einer involvierenden Hochglanzoptik präsentiert. Der Hintergrund der Personen ist zum Teil losgelöst und bewegt sich leicht, so dass es den Motiven eine Art 3D-Effekt verleiht und damit zusätzliche, eindringliche Nähe zum Betrachter erzeugt.

Das entscheidende Erfolgskriterium dieses Filmes ist die bereits angeesprochene Ikonisierung des Bösen und damit meine ich nicht nur die plakative Darstellung, sondern vielmehr die Wahl des Feindes selbst. Es gibt eigentlich kaum einen Menschen mit gesundem Verstand, der bezweifeln würde, dass Joseph Kony ein großer Verbrecher gegen die Menschenrechte ist. Genau daraus schöpft die Kampagne ihre Kraft, aus einem großen gemeinsamen Ziel, das theoretisch alle unterschreiben müssten, die nicht selbst in den Verdacht des Bösen geraten wollen, getreu dem Motto eines George W. Bush Jr.: “Either you are with us or you are against us”. Ohne das ikonisierte Böse, hätte diese Kampagne sicherlich niemals eine solche Verbreitung gefunden.

Die Netzwerk-Mechanik

Neben der kontrastreichen Emotionalität der Erzählung, der Simplifizierung des Komplexen, der professionelle Ästhetik einer Hollywoodproduktion fehlt noch ein wichtiges Erfolgskriterium: Der organisierte Netzwerkeffekt. Das Blog Social Flow hat nicht neben der Visualisierung einer Netzwerkanalyse auch interessante Thesen zum Erfolg der Verbreitung über die sozialen Netzwerke. Aus deren, technologischer Sicht, Thomas Pleil greift die Beobachtung ebenfalls auf, gibt es zwei technologische Faktoren, die für die schnelle Verbreitung des Filmes in sozialen Netzwerkstrukturen gesorgt haben:

1. Die bereits lang bestehende Netzwerkstrukturen der Organisation “Invisible Children” konnte gezielt zur Streuung des Filmes genutzt und bespielt werden. Damit verlieh man der Kampagne den nötigen Erstanschub. Ein schneller Transport in Richtung “Tipping Point”.

2. Durch den direkt kommunizierten Auftrag an die Zuschauer “20 Cultural Influencer” und “12 Political Influencer” direkt per Twitter aufzufordern sich der Bewegung anzuschließen und die Botschaft zu verbreiten, hat die Kampagne einen wirksamen Hebel gefunden, zusätzlichen Druck auf die Dynamik der Verbreitung auszuüben. Als Oprah Winfrey als eine der ersten Prominente mit gigantischem Netzwerk die Aktion unterstützte, sprangen viele weitere einflussreiche und vertrauenserweckende Prominente auf den Zug, so auch Teeniestar Justin Bieber und Pop-Ikone Rihanna. Der Film selbst hat übrigens sehr geschickt George Clooney als indirektes Testimonial für die Bewegung eingebaut, dabei waren die Interviewsequenzen nicht auf die Aktion “Kony 2012” bezogen, sondern auf seine davon getrennten Aktivitäten rund um den Sudan.

Ohne die bereits bestehende Graswurzelbewegung und ihre vernetzte Infrastruktur, ohne den massiven Druck auf viele gut vernetzte Prominente auf Twitter, wäre diese Kampagne wahrscheinlich längst nicht so erfolgreich durchgestartet.

Fazit und offene Fragen

“Kony 2012” ist weitaus mehr als nur ein einmaliges popkulturelles Social Media Ereignis. Es ist einer von vielen Vorboten einer neuen Aufmerksamkeitsökonomie. Das Thema bietet in Zukunft jede Menge Lehr- und Diskussionsstoff, sowohl für Medienwissenschaftler, als auch für Soziologen und Politologen. Der Erfolg des Filmes wirft viele wichtige gesellschaftliche Fragen auf. Inwieweit ist die Machart und der Mechanismus dieser Kampagne moralisch zu bewerten? Was sagt es über uns als angeblich aufgeklärte Gesellschaft aus? Inwieweit hat die Ästhetik des Kapitalismus unsere Kognition so weit geprägt, als das wir nur noch auf vereinfachende Werbefilmoptik und kontrastreiche Involvierung reagieren? Was werden Organisationen in Zukunft daraus ziehen? Wird man sich als Organisation von “Kony 2012” inspirieren lassen oder wird man sich anbetracht des aufkommenden Gegentrends und des drohenden Vertrauensverlust wieder zurückbesinnen auf eine andere, nachhalige Form der kommunikativen Auseinandersetzung? Welchen Stellenwert erlangt die Aufmerksamkeit an sich für die Lösung kommender Probleme und inwieweit behindert sie diese? Wie verändert sich die Rolle des Internetbenutzers, erhält er wirklich so viel mehr Macht oder wird eher eher wieder zum Spielball diverser Interessensgruppen? Aber vor allem anderen: Wie wird die Politik in Zukunft auf diese gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen reagieren? Sieht sie sich dadurch bedroht oder sieht sie gar eine Chance darin genau diese Mechanik wieder selbst einzusetzen?

Das sind spannende Fragen, die wir in den nächsten Jahren auch weiterhin intensiv diskutieren werden. Der nächste “Kony 2012” kommt bestimmt.

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