Zwischen den Dimensionen-Gedanken zum Zwischenraum

Zeit und Raum, diese Dimensionen bestimmen unser alltägliches Leben.
In den letzten Jahren scheint sich ein Trend abgezeichnet zu haben, der sowohl Zeit als auch Raum erweitert: Durch neueste medizinische Errungenschaften kann der Mensch sein Leben immer weiter in die Länge ziehen. Statt der durchschnittlichen 30 Jahre, wie sie noch einige Säkula früher den Regelfall darstellten, kratzt ein Jopi neuerdings schon sehr nah an den 110 Jährchen und beglückte seine Fans bis zum Schluss mit mehr oder weniger dynamischen Gesangseinlagen. Zwar müssen wir uns nun mit Anti-Falten Creme und Porsche eindecken, um unserer, passend zum modernen Charakter in englischer Sprache verfassten, Midlifecrisis zu entkommen, aber immerhin bleiben uns so noch durchschnittlich weitere 50 Jahre, die wir zum Kaffeeklatsch mit Gerda von Nebenan nutzen können. Das ist eine inflationäre Entwicklung!

Gleichzeitig wird die Eroberung des Raumes mit immer mehr Ehrgeiz verfolgt: Nachdem erst mal geklärt ist, dass die Welt entgegen herkömmlicher Auffassungen wohl doch keine Scheibe ist und wir uns tatsächlich rouletteartig um einen 5778 Kelvin heißen Feuerball drehen, was, nüchtern betrachtet, ein recht waghalsiges Unterfangen ist, heißt es erst mal für alle mutigen und ehrenhaften Astronauten – an dieser Stelle möchte ich auch an Laika, den tierischen Begleiter von Sputnik 2, erinnern-, dass der Eroberung des Weltalls durch Mensch und Hund erst einmal Einhalt geboten werden muss. Der oft, nicht zuletzt durch das Rege Zutun durch Hollywood zitierte Marsbewohner verfügt entweder über ein ausgereiftes Tarnsystem oder existiert schlichtweg nicht.

Im virtuellen Bereich wurde hingegen Einiges an Raum zur Verfügung gestellt. Digitale Astronauten kämpften sich durch Kabelsalate und surfen nun auf elektromagnetischen Wellen. Imitationen der Chinesischen Mauer aus Ordnerrücken, kombiniert mit interessanten Skylines aus Aktenstapeln sind zwar noch häufig anzutreffen, müssen aber mittlerweile zugunsten ihrer digitalen Varianten weichen. Dennoch, oder gerade aufgrund der neuen Entwicklungen, haben wir immer wieder mit Platzproblemen zu kämpfen. Was die modebewusste Frau nach dem Shoppen bei der Rückkehr in die trauten vier Wände feststellt – war mein Schrank schon immer so klein? – kann auch in größeren Dimensionen beobachtet werden: Gerade Gegenden mit hoher Bevölkerungsdichte, im Volksmund auch Stadt genannt, weisen oft einen erheblichen Raummangel auf. Wohnräume, Büroflächen für Vereine, Ausstellungsräume für Künstler oder auch einfach ein Raum für Veranstaltungen, ob gemeinnütziger oder kommerzieller Art, sind oft rar.

An dieser Stelle müssen Städte kreativ werden: Eine mögliche Lösung, nämlich ein kostengünstiges Neubaugebiet am Stadtrand, oft in weniger schmeichelhaften Grautönen gehalten und das auch nicht weniger selten im heimeligen Flair à la Gotham City erstrahlt, stößt nur selten auf helle Begeisterung. Viel mehr sollte man sich an positiven Beispielen, die durchaus in nationalen und internationalen Städten zu finden sind, orientieren. Das Zauberwort zum Erfolg lautet hierbei: Zwischenraum.

Aha, ein genialer Schachzug, aber nicht sonderlich originell, hört man da schon die ersten nüchternen Kommentare. Sie täuschen sich.
Im Rahmen eines praxisorientierten Moduls an meiner Fachhochschule, der Karlshochschule, konnte ich mich zusammen mit meinen vier Teammitgliedern intensiv mit dem Thema des Zwischenraumes, besonders in Hinblick auf die Nutzung für Kunst, auseinandersetzen. Dabei wurde schnell deutlich, dass das Potential von Zwischenräumen viel größer ist, als man zunächst vermuten würde. Sowohl in Raum als auch in Zeit entstehen Zwischenräume, die es zu nutzen gilt. Verlassene Supermärkte, leer stehende Läden, Gebäude, die kurz vor dem Abreißen sind und somit auch existentiell einen Zwischenraum darstellen, können zwischenzeitlich mit Leben gefüllt werden. Öffentliche Räume, die bekanntlich das Wesen einer Stadt ausmachen und durch die sich die Stadt von anderen zu unterscheiden weiß, können genutzt werden. Es muss also eine flexiblere Definition von Raum her, und auch eine dementsprechende Handhabung der Städte. Unnötige Barrieren erschweren einen dynamischen Wechsel innerhalb von Räumen. Auch eine Umfunktionierung von alten Räumen, wie es in Karlsruhe etwa am Beispiel des Schlachthofareals gemacht wurde, ist eine kreative Möglichkeit der Raumschaffung. Auch die jährlich stattfindende „UND“ in Karlsruhe, eine Plattform für Kunstinitiativen, stellt ein anschauliches Beispiel dar, wie man ungewöhnliche Zwischennutzungen von Räumlichkeiten in ein aufregendes Kulturerlebnis verwandeln kann. So fand die „UND“ z.B. bereits in einem leer stehenden Supermarkt, einem ehemaligen Autohaus und einer Versorgungshalle statt. Auch in anderen Städten werden Zwischenräume aktiv genutzt. Dazu kann etwa der Palast der Republik in Berlin genannt werden, der während des Abrisses künstlerisch bespielt wurde, oder  eine Initiative in San Francisco, welche leer stehende Schaufenster als Ausstellungsfläche für bildende Künstler nutzt. Zwischenräume sind also, wie wir hier gesehen haben, vielfältig definierbar.

Sie können zwischen zwei Zeitpunkten oder zwei räumlichen Elementen liegen, sowie eine Art Zwischenraum für die den Raum nutzenden Menschen darstellen. Ein typisches Beispiel für letzteres ist etwa ein Bahnhof, Haltestellen, Flughäfen und Ähnliches.
Wie auch immer man den Begriff des Zwischenraumes definiert, man kann generell feststellen, dass das hervorstechende Charakteristikum das sowohl trennende als auch verbindende Element von Zwischenräumen ist. So lange Zwischenräume nicht genutzt werden, kann man eine Stadt also trotz der bereits erwähnten hohen Bevölkerungs- und Gebäudedichte allenfalls als löchrigen Schweizer Käse bezeichnen.

Diesen sozialen und ökonomischen Nutzen hat auch die Stadt Wuppertal festgestellt und das Förderprogramm „Stadtumbau West“ eingeleitet. Auch in Berlin findet man anregende Beispiele wie die bekannte „Tentstation“, welche eine Art Campingareal in einem ehemaligen Freibad ist und so einen Campingausflug zu einem ungewöhnlichen und neuen Erlebnis machen kann. In der so genannten „Abfertigung“ hingegen wird der zeitliche Aspekt von Zwischenräumen wunderbar deutlich: Das Gebäude, das ehemalige Zollamt von Bremen, wird temporär als Arbeitsraum von Menschen unterschiedlichster Berufe genutzt und stellt so eine Zwischenlösung dar.

Natürlich sind diese Beispiele nur ein winziger Bruchteil von Initiativen, die Städte bereits im Sinne von Zwischenraumnutzung betreiben, und die weiterhin offenen Möglichkeiten sind natürlich noch um einiges zahlreicher. Was allerdings deutlich wird ist, dass die versteckten Potenziale von Zwischenräumen, besonders in Städten, eine angesichts der Ressourcenknappheit zukunftsweisende und vor allem auch realistische Methode der Raumnutzung darstellt. Ideen wie diese lassen sich in jeder Stadt verwirklichen und vervielfältigen. Möchte man Raum finden, muss man dazu oft nur die Nachbarsstraße entlanglaufen und kann das familieneigene Teleskop getrost an die NASA verkaufen und in Sonnenkollektoren investieren.
Durch den flexiblen und dynamischen Umgang mit virtuellem und reellem Raum im Sinne der Zwischen(raum)nutzung wird es möglich, die Dimensionen aus Zeit und Raum in Städten auf eine neue und kreative Weise auszuweiten.

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