Wer hat Angst vorm Leistungsschutzrecht? Niemand! Wenn es aber kommt? Dann laufen wir!

Der alte Grabenkampf “Internet” gegen “Gutenberg-Galaxis” ist seit gestern mal wieder spürbar entzündet. Anlass ist eine kurze aber prägnante Notiz aus dem Protokoll des Koalitionsausschusses am 4. März 2012 unserer Regierungskoalition, die da lautet:

2. Urheberschutz – Leistungsschutzrecht für Presseverlage
Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass Verlage im Online-Bereich nicht schlechter gestellt sein sollen als andere Werkvermittler. Deshalb sollen Hersteller von Presseerzeugnissen ein eigenes Leistungsschutzrecht für die redaktionell-technische Festlegung journalistischer Beiträge oder kleiner Teile hiervon erhalten. Gewerbliche Anbieter im Netz, wie Suchmaschinenbetreiber und News-Aggregatoren, sollen künftig für die Verbreitung von Presseerzeugnissen (wie Zeitungsartikel) im Internet ein Entgelt an die Verlage zahlen. Damit werden die Presseverlage an den Gewinnen gewerblicher Internet-Dienste beteiligt, die diese – mit der bisher unentgeltlichen – Nutzung der Verlagserzeugnisse erzielen. Auch die Urheber sollen eine angemessene finanzielle Beteiligung an der Verwertung des Leistungsschutzrechts erhalten. Einzug und Verteilung der Entgelte soll über eine Verwertungsgesellschaft erfolgen. Die Schutzdauer soll ein Jahr betragen.

Die private Nutzung von Presseerzeugnissen im Internet wird nicht vergütungspflichtig,
normale User werden also nicht betroffen sein. In der gewerblichen Wirtschaft bleiben
das Lesen am Bildschirm, das Speichern und der Ausdruck von Presseerzeugnissen kostenfrei.

Der Streit um das Leistungsschutzrecht ist in erster Linie ein Resultat aus dem Konflikt zweier großer wirtschaftlicher Akteure, die sich seit Jahren um den großen Kuchen zanken. Da wäre zum einen Google, als Vertreter der neuen Wertschöpfung im digitalen Informationszeitalter. Google setzt Milliarden mit der Organisation, Filterung und Sortierung von Informationen um, indem sie sich für Werbeeinblendungen bezahlen lassen. Alles auf Grundlage bereits bestehender Informationen, d.h. Google erstellt bisher noch keine eigene Publikation von unternehmensfernen Inhalten, “Think Quarterly” mal ausgenommen. Die Betonung liegt allerdings auf “bisher”, aber dazu später mehr.

Auf der anderen Seite stehen die großen (Zeitungs-)Verlage, die in der “Gutenberg-Galaxis” Millionen mit der Erstellung, Organisation, Filterung und Sortierung von Informationen verdient haben, indem sie sich für Werbeeinblendungen bezahlen ließen. Die Verlage sind allerdings im Gegensatz zu Google immer noch im Publikationsgeschäft, d.h. sie bezahlen Autoren und Infrastruktur, mal mehr mal weniger gut, um die Erstellung von Inhalten zu realisieren. Dieser Punkt dürfte auch ihr Hauptargument für die Einforderung des Leistungsschutzrechts sein. Sie unterstellen Google und anderen Aggregatoren, sie würden mit ihren in Auftrag gegebenen Publikationsergebnissen Geld verdienen – und zwar nicht zu knapp – , ohne sich dabei aber an den Kosten für die Erstellung von redaktionellen Beiträgen zu beteiligen. Aus der Perspektive der Verlage mag diese Sorge ja zum Teil berechtigt sein, jedenfalls dann, wenn man alle anderen Faktoren rund um den veränderten digitalen Markt rigoros ausblendent. Denn natürlich beteiligt sich Google & Co indirekt auch an den Kosten der Publikation und zwar durch geldwerte Leistungen in Form von Verbreitung und Werbung für die redaktionellen Inhalte der Verlage. Google und andere Aggregatoren organisieren und führen Datenströme, d.h. Traffic auf Informationsquellen aller Art. Dazu gehören eben auch die redaktionellen Beiträge der Verleger. Nur haben die Verleger darauf keinen unmittelbaren kontrollierenden Einfluss. Sie erhalten von Aggregatoren eine Leistung, die sie nicht beauftragt haben, anscheinend Grund genug sich über kostenlose Werbung zu beschweren.

Jetzt wäre es doch mal spannend einige Szenarien durchzuspielen (nur anhand der beiden großen Player, die Blogthematik lasse ich mal bewusst aus), die in Folge der Umsetzung eines Leistungsschutzrechtes ablaufen könnten:

Szenario 1: Das Leistungsschutzrecht tritt in Kraft, Google umgeht die Zahlung durch De-Indexierung der deutschen Verlagsinhalte
Spätestens ab diesem Punkt stellt sich die Frage, ob die Mitgliedschaft bei der Verwertungsgesellschaft verpflichtend oder freiwillig ist. Sollte sie freiwillig sein, so dürfte das Leistungsschutzrecht von vornherein eine Totgeburt sein, denn vor allem die kleinen Verlage werden den Teufel tun und sich aus dem Google Index ausklinken wollen. Diejenigen, die das tun werden, müssen sich dann eben auch bewusst sein, dass sie erhebliche Datenströme verlieren werden. Vielleicht besteht dort ja noch die Hoffnung auf die Renaissance der Papierpresse, ansonsten droht nämlich genau das Resultat vor dem man sich jetzt so fürchtet: Eine enorme Ertragssenkung.

Sollte also die Mitgliedschaft bei der zukünftig geplanten Verwertungsgesellschaft Pflicht sein, so werden wir wohl einen enormen Umbruch des Medienmarktes außerhalb der deutschen Grenzen erleben. Die deutschsprachigen Verlage in der Schweiz oder in Österreich könnten sich dann jetzt schon die Hände reiben, denn sie könnten mit bereits vorhandenen Verlagsstrukturen in sehr kurzer Zeit ein völlig neues Publikum erschließen. Und überhaupt dürfte es wenig Probleme geben sich seinen Online-Verlag in Zukunft außerhalb von Deutschland aufzubauen. Ein Umstand, der mir als Staat große Sorgen bereiten würde. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch die Frage, was Google eigentlich davon abhalten könnte in Zukunft eigene Verlagsangebote zu erschaffen? Das nötige Kapital für die Finanzierung von eigenen Redaktionen dürfte mehr als vorhanden sein. Das wiederum wäre ein Szenario, das bezüglich unserer Pressefreiheit eine ganz eigene Dynamik annehmen könnte.

Szenario 2: Das Leistungsschutzrecht tritt in Kraft, Google zahlt die geforderten Abschläge an die Verleger
In diesem Moment läutet die große Stunde der Controller. Wieviel Geld wird für welche Leistung bezahlt? Zahlt Google & Co eine Pauschale oder nur das wofür sie werben? Ersteres führt wiederum zur Überlegung ob sich eine Pauschale wirklich rechnet oder ob man nicht lieber andere Inhalte aggregiert und zweiteres wird zu Überlegungen führen, inwieweit man den Algorithmus auch aus Kostengründen entsprechend anpasst. Die Darstellung von weniger Verlagsinhalten würde dann zu einer Reduzierung der Kosten führen. Ein wichtiger Grundgedanke des Internets, also die freie Vernetzung von Inhalten dürfte damit einer großen Gefahr ausgesetzt sein. Vor allem wenn man bedenkt, dass sich ja nicht nur Google am Ende an das Leistungsschutzrecht halten müsste. Da wäre es schon angebracht sich detailliert zu überlegen, inwieweit das unsere bisherige Pressefreiheit beeinflussen könnte.

Andererseits besteht auch die Möglichkeit einer “Wikipediasierung” der Nachrichtenaggregation, d.h. es könnten neue, große gemeinnützige Verein entstehen, die in Zukunft einfach selbst die Verteilung von Nachrichten übernehmen könnten. Die Basis der Unterstützung durch viele Internetnutzer scheint sicherlich gegeben zu sein, vor allem wenn man sich den Erfolg und den Ruf von Wikipedia als Erfolgsmodell anschaut. Das wiederum würde aber bedeuten, dass die beiden großen Streithähne langfristig verlieren würden. Die Organisation und Sortierung von Informationen und Nachrichten (Wissen übernimmt derzeit ja schon Wikipedia) könnten damit verstärkt in die öffentliche Hand gelangen, gemäß dem Motto: Wenn zwei sich streiten …

Szenario 3: Das Leistungsschutzrecht wird zähneknirschend wieder in die Schublade gelegt
Alles geht weiter wie bisher, die Verleger müssen sich überlegen wie sie abseits von staatlicher Regulierung ihr angeschlagenes Geschäftsmodell z.B. durch innovative Ideen wieder auf Vordermann bringen könnten.

Noch abschließend ein paar Zeilen zur Bedrohung für Blogger und den Prosumenten. Ich bin sehr gespannt auf die konkrete Ausarbeitung des Leistungsschutzgesetzes und zu welchen Kriterien ein Blog “gewerblich” eingestuft wird und wann privat. Neben der großen Macht von Google darf man die Macht der Gesamtheit aller kleinen Publikationen nicht unterschätzen. Die Vernetzung von Blogbeiträgen mit der Verlinkung von zahlreichen Verlagsinhalten, führt ja erst indirekt über den großen Gatekeeper Google dazu, dass die redaktionellen Beiträge heute zum Teil so viel Aufmerksamkeit bekommen. Auch Google wäre ohne die zahlreichen kleinen Blogs und weitere Contentvernetzer längst nicht so erfolgreich. Google und damit auch die Verlage benötigen in der vernetzten Informationsgesellschaft die Prosumenten eben auch für die Gewährleistung ihres eigenen wirtschaftlichen Erfolges. Wäre also wirtschaftlich ziemlich fahrlässig diese Interessensgemeinschaft der Prosumenten komplett auszublenden oder einfach nur zu unterschätzen, indem man beispielsweise das Thema einzig und allein auf Google projiziert. Interessant dürfte in diesem Zusammenhang auch noch einmal die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen sein. Werden diese dann weiterhin zum Vorteil der Verleger handeln oder werden sie gar wohlwollende Elemente wie die Depublikationsregelung im Rundfunkstaatsvertrag zurücknehmen? Wenn das nämlich geschieht, hätten wir ein öffentlich-rechtliches Informationsmonopol, mit annehmbarer Qualität.

Sicher ist jedoch eines: Prosumenten werden sich nicht auf Abschlagszahlungen oder mit der damit zusammenhängenden Bürokratie und dem drohenden Abmahnwahn lange herumschlagen. Der Prosument wird sich dann in Zukunft Publikationen suchen, die vom Leistungsschutzrecht befreit sind. Stell dir vor es ist Verlag und keiner folgt ihm.

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