Auch wenn einige die Floskel “typisch deutsch” nicht wirklich mögen, ist ein Blick auf die “nationale” Kultur immer recht hilfreich um aktuelle, gesellschaftliche Themen besser zu verstehen.
Im Fall von Google Streetview und der fast dickköpfig wirkenden Resonanz der Gesellschaftsvertreter in Form von Medienschaffenden und Politikern liegt der kulturelle Kontext tief im Bereich der Intim- und Privatsphäre begraben. Politiker und Medien sagen in ihren Ausführungen gegen Google Streetview zwar “Schutz vor Verbrechen”, meinen damit aber eigentlich “Angst vor Überwachung von Außen”. Ganz bewusst möchte ich das “Außen” betonen, denn natürlich haben Teile der Medien und politische Kräfte kein Problem damit, wenn der Staat selbst Initiator von Überwachungs- und Kontrollmechanismen ist. Sei es der “Nacktscanner”, die Übermittlung von persönlichen Bankdaten, der Speicherung von IP-Adressen und Surfverhalten oder der biometrische Pass. Die deutsche Kultur war in den letzten 70-80 Jahren extrem geprägt vom Thema der Überwachung und dem Verlust der Privatsphäre, ja sie wurde sogar massiv bedroht in ihrer Ausübung einer freien Entfaltung. Überwachung geschah damals vielleicht auch unter dem Vorwand der inneren Sicherheit, wurde jedoch ausgiebig dazu missbraucht um das jeweilige agierende Herrschaftssystem zu etablieren und zu beschützen. Egal ob im dritten Reich oder im kalten Krieg. In beiden historischen Szenarien wurde Überwachung und Kontrolle mißbraucht, Menschen wurden durch diese Instrumente indirekt kontrolliert, gefoltert und ermordet – zum Teil rein für Gedanken und Äußerungen wohlgemerkt.
Dieses Überwachungs- und Kontroll Mem steckt also sehr tief in uns. Überwachung ist für uns Segen und Fluch zugleich. Auf der einen Seite legitim zur Selbsterhaltung, auf der anderen Seite verteufelt (je nachdem wer gerade als Gut oder böse klassifiziert wird), weil zu oft von den “Falschen” missbraucht. Die USA beispielsweise wendet ein Vermögen für Geheimdienste und Kontrollmechanismen auf (und auch folterähnliche Vorgänge), ganz einfach um ihr Staatssystem zu schützen. Und das ist für den Großteil der Bevölkerung okay, ja ihre Medienkultur idealisiert diese Methode in zahlreichen Vorabendserien und Pseudodokumentationen. Natürlich ist das für sie und ihre Verbündeten großteils legitim, aber im Konsens installiert.
Was aber passiert aber im Fall von Google Streetview? Hier haben wir plötzlich ein neues Szenario. Hier agiert kein politisches oder ideologisches System. Nein, hier schaltet sich erstmals ein Konzern massiv in die Angelegenheiten eines bzw. vieler Staaten und Staatssysteme ein, ohne direkte Absprache mit dem Staat selbst. Öffentlicher Raum (Verwaltung durch Staat) wird von Google dokumentiert, publiziert, privatisiert und monetarisiert. Bei aller Liebe und Begeisterung für Google Streetview Projekt darf man das nie vergessen.
Google ist nicht Wikipedia! Google ist keine gemeinnützige Stiftung oder eine (N)GO. Google wird nicht vom Volk gewählt, schon gar nicht von ihm kontrolliert. Google ist ein Konzern mit klarer Ausrichtung auf Profitmaximierung (was ja für ein Unternehmen normal und gut ist). Aber die Argumente, dass der Raum öffentlich sei und deshalb Google ein Recht darauf habe diesen öffentlichen Raum für jeden Menschen sichtbar zu machen, halte ich in diesem dargelegten Zusammenhang für eine ganz gefährliche Argumentation. Es geht natürlich nicht darum, dass man Einbrechern dabei hilft ihren Job besser zu machen. Es geht darum, dass ein privatwirtschaftlicher Konzern Eigentümer von virtuellem öffentlichen Raum wird. Nicht uns als Volk, als Bürger als Netzgemeinschaft gehört Street View. Wir haben kaum Einfluss darauf. Es gehört ganz allein dem Googlekonzern und seinen privatwirtschaftlichen Kooperationspartnern. Angesichts der parallel verlaufenden Aktivitäten rund um die Netzneutralität sollte man sowieso beide Ohren anspitzen. Denn wenn Google den öffentlichen Raum als privilegierten Exklusivcontent anbietet, so platzt die tolle Utopie der Wir-Gemeinschaft vollends.
Keine Frage, Google ist bisher ein beeindruckender Konzern – auch wenn wir niemals so wenig über ein Konzern wussten wie über Google, aber gleichzeitig dieser Konzern mehr über uns weiß, als viele Staaten und Konzernen zusammen. Das macht mich extrem misstrauisch und mich irritieren die Aussagen vieler Netzaktivisten, die von Freiheit und Wirgefühl sprechen, wenn sie so unreflektiert für Google Street View kämpfen. (Ich gebe zu, ich habe das selbst getan, weil ich einfach wenig Zeit finde alle Themen einigermaßen reflektiert anzugehen)
Wie gesagt, die Wikipediasierung des öffentlichen Raumes wäre ohne Zweifel eine tolle Angelegenheit. Der Besitz von allerlei Daten in einer privatwirtschaftlichen Hand, deren oberstes Ziel die Gewinnmaximierung ist, finde ich nicht ganz so toll.
Daher bei all der Begeisterung und dem Kampf für Google Street View, der Verteufelung der altmodischen Medien und ihren natürlich merkwürdig platt wirkenden Aussagen, bitte denkt auch mal eine Sekunde darüber nach.
Ich finde die ANwendung Street View toll, es ist definitiv ein Mehrwert für uns, doch auch nur solange wie wir wissen, dass damit kein Schindluder getrieben wird, also weniger von den Nutzern, als vielmehr von dessen Besitzern. Deren derzeitiges Verhalten in Bezug auf Netzneutralität lässt mich jedenfalls extrem misstrauisch werden.
Also zusammengefasst:
Ich kann sehr gut nachvollziehen warum Medien und Politik sich so vehement gegen Googles Streetview wehren. Sie sehen das als klare Bedrohung ihres Systems, zumal die klassischen Medien sowieso ein Interesse daran haben Google zu schwächen um zur eigenen Stärke zurückzufinden. Das politische System wiederum ist geprägt von den oben beschriebenen kulturellen Gegebenheiten. Ein (politisches) System hat immer extremes Interesse am Selbstschutz und an der Selbsterhaltung, es wird also immer Maßnahmen ergreifen um das zu gewährleisten. Der Grund warum beispielsweise Staaten wie USA nicht so einen Wirbel machen wie Deutschland? Nun, für sie als Weltmacht ist das starke privatwirtschaftliche nichtverstaatlichte Handeln Normalität. Staat und Wirtschaft waren schon immer zusammengeschweisst und die Überwachung des Volkes und anderer Völker geschah immer aus einem großen Konsens heraus. Man musste sich vor fremden Mächten schützen. Konzerne gelten dort allerdings noch nicht als Fremdkörper sondern als wichtige Motoren des gesellschaftlichen Systems. Bei uns in Deutschland ist das Verhältnis Wirtschaft und Staat extrem irritiert bis gestört, weil wir zwischen den Welten Planwirtschaft (Verstaatlichung) und liberalem Kapitalismus stecken. Daher rühren die Konflikte. Jedenfalls interpretiere ich das so. :-)
Update: Fortführende und vertiefende Gedanken im neuen Blogbeitrag “Transparenz vs. Anonymität: Warum es um wesentlich mehr als nur um Streetview geht”
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