Alchimie

Im Mittelalter versuchten vermeintlich weise Menschen aus allen möglichen Ingredienzien Gold herzustellen. Es ist anzunehmen, dass der eine oder andere bei den Versuchen auf der Strecke bleib. Andere hatten dabei mehr Glück, sie sollen zwar kein Gold, wohl aber Porzellan und Schwarzpulver geschaffen haben. Vor allem aber, das dürfte sicher sein, sind viele gutgläubige Menschen um ihre Ersparnisse gebracht worden. So mancher Naivling lässt sich heute noch mit Investmentzertifikaten von Firmen locken, die angeblich sensationelle Verfahren zu Goldgewinnung oder Goldrecycling entwickelt haben.

Leider machen Alchimisten und andere Parawissenschaftler auch nicht vor den Türen der Personalabteilungen halt. Klar, eine gute Personalentscheidung kann für ein Unternehmen soviel wert sein, wie ein Sechser im Lotto. Ein schöner Beitrag zu solchen Scharlatanerien ist auf Spiegel Online zu finden. In dem Interview mit Uwe Peter Kanning geht es zum Beispiel um Psycho-Physiognomik:

Die sogenannte Psycho-Physiognomik behauptet, anhand der Schädelform, der Gesichtszüge, der Form von Nase und Ohren Aussagen über die Persönlichkeit machen zu können. Zurück geht das unter anderem auf Franz Joseph Gall, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Phrenologie begründete: Demnach ist jeder Eigenschaft eines Menschen ein bestimmtes Hirnareal zugewiesen und dieses umso größer, je stärker die Eigenschaft ausgeprägt ist. Deshalb – so Galls Theorie – drückt das Hirn an der Stelle von innen gegen den Schädel und verursacht eine Auswölbung.

Kein Kommentar. Graphologische Tests und Astrologie liegen auf dem gleichen Niveau. Personaler, die so einen Unsinn anwenden, diskreditieren sich nicht nur selbst, sie verschwenden auch das Geld ihrer Firma. Aber auch vermeintlich wissenschaftliche Testverfahren sind mit Vorsicht zu geniessen. So sind Verfahren, die sich damit rühmen, auf die Typenlehre von C. G. Jung aufzubauen, in der modernen Wissenschaft – freundlich formuliert – höchst umstritten. Man muss sich nur Heinz von Foersters “Nicht-triviale Maschine” vor Augen führen um zu erkennen, dass ein simples Farbschema weder der Komplexität der menschlichen Existenz, geschweige denn der sozialen Situation gerecht werden kann.

Alle Pseudowissenschaften bieten schnelle Lösungen an und versprechen, dass der Bewerber das Ergebnis nicht manipulieren könne, was ja bei einem Vorstellungsgespräch – wenn auch nur begrenzt – möglich ist. Seinen Schädel oder sein Sternbild kann keiner verfälschen. Das klingt für viele Personaler sehr attraktiv, sie suchen so etwas wie eine geheime Formel, mit der sie Menschen durchschauen können.

Okay – eine Lanze muss man für Astrologie, Graphologie und pseudo-psychologische Farbkreise brechen: “Gut das wir darüber gesprochen haben.” Auch der größte Unsinn kann dann Sinn machen, wenn er dazu dient, Kommunikation zu ermöglichen. Aber es gibt kein Auswahlverfahren, das für sich alleine auch nur annähernd Prognosesicherheit bieten könnte. Erst die Kombination verschiedener Verfahren, zum Beispiel in einem Assessment Center, mag eine gewisse Sicherheit bringen. Ich selbst setze auf gelingende Kommunikation: In einem guten Gespräch erfährt man mit etwas Erfahrung weit mehr über einen Bewerber, als in jedem formalisierten Verfahren. Der Rest bleibt Vertrauen.

Um potenzielle Arbeitgeber, die allzu tief in den Giftschrank diagnostischer Alchimie greifen, sollte man aber einen ganz großen Bogen machen. Sie sind, davon sollte man ausgehen, nicht an gelingender Kommunikation interessiert, sondern von der Angst vor Kontrollverlusten getrieben.

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