Das Blog E-Learning 2.0 von Thomas Bernhardt hat gemeinsam mit Saskia-Janina Kepp einen Blog-Karneval (wer nicht weiß, was das ist, kann das hier nachlesen) zum Thema “Lernen 2.0 – wie verändert das “Mitmachnetz” unsere Strategien zu lernen” initiiert, an dem ich gerne mit diesem Beitrag hier teilnehmen möchte. Die beiden haben Leitfragen entwickelt, an denen ich mich auch gerne entlanghangeln möchte. Der Beitrag dient also Diskussionsbeitrag und kann ggf. ergänzt oder kritisiert werden, bzw. jedem steht es frei auch einen eigenen Eintrag dazu zu schreiben.
Was versteht ihr grundsätzlich unter lernen?
Grundsätzlich bedeutet lernen für mich die kontinuierliche Weiterentwicklung unseres Daseins (Entfaltung unseres Potenzials) durch den Erwerb von verschiedenen Fähigkeiten. Ich unterscheide zwischen physischen und psychischen (also geistigen) Fähigkeiten, wobei beide immer eng, dank unseres Gehirns bzw. unseres gesamten neuronalen Netzwerks, eng miteinander verzahnt sind. So lernt man beispielsweise das Fahrradfahren wesentlich schneller, wenn man als Kind die Gelegenheit hatte, anderen Kindern bereits beim Fahrradfahren zuzuschauen, weil sich daraus bedingt bereits wichtige neuronale Verknüpfungen bilden und festigen. Dank unseren Spiegelneuronen lernen wir verstärkt durch Imitation und können daher auch auf theoretischer Basis den Erwerb von physischen Fähigkeiten besser vorbereiten. Das theoretische Lernen ist ja im Grunde nichts anderes als eine andere Form der Imitation. Das gesehene (Bewegt)Bild ist ja einleuchtend, doch auch Text wird in unserem Gehirn immer in Bilder umgewandelt (jedenfalls versuchen wir das und daher fällt es vielen Menschen so schwer abstrakte Texte sehr schnell und einfach zu erfassen/begreifen). Jeder Bit an Information fügt sich in das Gesamtnetzwerk unseres Wissens und Könnens ein. Jedes Element ist dabei wichtig. Die Aufgabe des Lernens ist es nicht allein diese Einzelinformationen aufzusaugen, sondern sie sinnhaft miteinander zu verknüpfen und in einen Zusammenhang zu bringen. Das ist für mich die Grundlage, um Wissen überhaupt erweitern zu können, denn wo keine Anknüpfungspunkte bestehen, kann auch nichts sinnvolles angedockt werden. Gleichzeitig dient uns das erworbene Wissensnetz als Filter für weitere Informationen. Damit können wir neue Fakten einordnen und deuten, also interpretieren. Je dichter und vielschichtiger dieser Filter ist, desto essentieller und erkenntnisreicher ist die neue Erkenntnis. Lernen ist gleichzeitig ein Prozess, der süchtig macht, denn je mehr wir lernen, desto mehr werden wir mit Erkenntnissen und Lernerfolgen belohnt. Vielleicht ein schönes Bild dazu ist das Spiel Katamari. Je mehr wir aufnehmen, desto größer wachsen wir und desto größere Dinge können wir wiederum aufsaugen, desto …
Welche Rolle spielen die Web-2.0-Tools beim Lernen für euch?
Web 2.0 Tools können, vorausgesetzt sie werden richtig angewandt, unheimlich nützlich sein, um bereits erworbenes Wissen zu dokumentieren. Gleichzeitig ist beispielsweise ein Blog, das man als Lerntool nutzen könnte, ein sinnvolles Werkzeug nur allein aufgrund der Tatsache, dass man Gedanken zu einem Thema in eigene Worte fasst – sozusagen ein virtueller Stofftransfer. Ich nehme wissen wahr und speichere es mit einem Schreibvorgang auf meine eigene Festplatte, dem Gehirn. Dadurch, dass ich also meine Gedanken zu virtuellem Papier bringe, festigt sich das Wissen auch innerhalb meines neuronalen Netzwerks. Außerdem können Blogeinträge Diskussionen erleichtern, bereichern und ergänzen, so dass ein gegenseitiger Wissensaustausch mit Menschen ermöglicht wird, die ich im Offline-Leben wahrscheinlich so schnell und einfach nicht gefunden hätte. Man schließt sich somit automatisch einer Lerncommunity an, ob man will oder nicht.
Könnt ihr bei der Verwendung von Web-2.0-Tools Unterschiede zu herkömmlichen Lernstrategien (z.B. Wiederholen) feststellen?
Ich würde das Wiederholen nicht ausblenden wollen. Wiederholung ist wichtig, nur muss sie eben auch Spaß machen und nicht durch drohende Stumpfsinnigkeit die Motivation zum Lernen rauben. Wir lernen nun einmal durch den Wiederholungsvorgang, also dem stetigen Üben oder Trainieren. Wiederholung als “schlecht” zu bewerten, hielte ich für fatal. Web 2.0-Tools bieten vielleicht auch eher die Möglichkeit mit Freude und Spaß Dinge zu “wiederholen” (also das Lesen von Meinungen anderer zu einem bestimmten Thema, die explorative, multimediale Recherche oder Wissensspiele usw. sind ja im Grunde genommen alles Vorgänge des Wiederholens). Der große Unterschied ist glaube ich, dass es derzeit kein besseres didaktisches Konzept gibt, das unsere Art von Lernen (also Imitation in Kombination mit Wissensvernetzung) so gut technologisch abzubilden vermag, wie es derzeit das Internet leisten könnte. Ich sage bewusst “könnte” weil wir auch da erst ganz am Anfang stehen. Das technologische Gerüst ist vorhanden (Link-, Filter- und Matchingprinzip), es mangelt aber meiner Auffassung nach noch an den darauf zugeschnittenen Inhalten und dem durchdringenden Verständnis.
Wenn wir das Linkprinzip einmal herausgreifen, so gilt sicherlich Wikipedia als Paradebeispiel. (Selbst wenn einige Wissenschaftler bei Wikipedia die Nase rümpfen, so sei ihnen an der Stelle mitgeteilt, dass es mir um das technische Gerüst geht, mit dem theoretisch jeder Wissenschaftler in der Lage ist seine eigene Enzyklopädie aufzubauen, also auf dem Niveau, das er/sie für angemessen hält.) Wikipedia steht für exploratives Wissen. Etwas dass in der Vergangenheit, also in reiner Buchform, nur sehr mühselig und nur innerhalb des geografisch begrenzten Raumes einer großen Bibliothek möglich war. Wenn wir also einen Artikel über ein neues Themenfeld lesen, werden wir dazu nur wenig Anknüpfungspunkte besitzen, das bedeutet, wir werden oft auf neue Begriffe in diesem Zusammenhang stoßen. In einer klassischen Bibliothek würden wir also losrennen und die entsprechenden vertiefenden Bücher suchen, holen und die Begriffe nachschlagen. Wikipedia (oder jede andere elektronische Informationsquelle) bietet uns dazu ganz einfach mit der Maus klickbare Links an. Wir können uns also einem Thema sehr viel schneller durch Klicks nähern. Wir erschließen es explorativ ohne den zusätzlichen Aufwand, der in der Vergangenheit dahinter stand. Natürlich ist es in diesem Zusammenhang wichtig, die Quellen trotzdem zu prüfen und an relevante Informationen zu kommen, doch genau das meinte ich weiter oben mit: “Es mangelt noch etwas an Inhalten”. Und natürlich können derzeit eBooks oder elektronische Artikel nicht die haptischen Vorteile eines Buches ersetzen. Noch nicht, denn die Vorteile von elektronischen Büchern – im Gegensatz zu ihren statischen Papierwälzern – liegen auf der Hand, nämlich die besagte explorative Linkstruktur mit multimedialen Ausformungen.
Inwieweit hat sich eurer Meinung nach durch die Möglichkeiten zur Kommunikation, Produktion, Kollaboration und Partizipation das Lernen geändert bzw. wird es sich ändern?
Lernen wird dezentraler und spielerischer. Lernen entkoppelt sich aus einem diktierten Zeit- und Raumgefüge und wird dadurch auch individueller. Der/die eine lernt lieber audiovisuell, der/die andere kommt schneller bei der abstrakten Schriftsprache voran. Der/die eine lernt lieber nachts, der/die andere am frühen morgen. Wir können durch die gewonnene Individualität unser individuelles Potenzial wesentlich besser entfalten. Lernen wird freier und damit aber auch ein Stück weit unkontrollierbarer. Wie bereits erwähnt ermöglicht Web 2.0 in der Theorie einen interkulturellen Diskurs zu den verschiedensten Themen. Das war vor 30 Jahren noch unvorstellbar. Ich glaube auch, dass sich dadurch die Kluft zwischen Lernbegeisterten und Wissbegierigen (früher wurden die im unglücklich konzipierten System “Schule” als “Streber” beschimpft) und Lernverschreckten (früher wurden die im unglücklich konzipierten System “Schule” als “Faulenzer/Versager” beschimpft) verringern kann. Die Stigmata, welche rund um das Thema Lernen in den letzten Jahrzehnten entstanden sind, werden dadurch langfristig verschwinden und das gibt beispielsweise dem Thema “lebenslangen Lernen” überhaupt erst den nötigen Freiraum, um sich tiefgreifend und vollständig innerhalb einer Gesellschaft zu entfalten. Bisher ist dieser Graben leider noch immens große, weil wir die Wichtigkeit von individuellen Lernbedürfnissen bei gleichzeitigem einheitlichen Lerndrang noch nicht kollektiv erkannt und begriffen haben. Das Web 2.0 ist für diese Zwecke aber sicherlich ein geeigneter Katalysator.
Welche neuen Lernstrategien werden im Mitmachnetz notwendig?
Ich denke die wichtigste Fertigkeit im Zusammenhang mit der Nutzung des Internets ist die Filterung von Informationen. Welche Fakten sind valide? Wie bekomme ich die überhaupt? Wie finde ich mich im Wust der Informationen zurecht? Und wem kann ich innerhalb einer enthierarchisierten Struktur (impliziert ja Mitmachnetz, also jeder kann sich gleichwertig beteiligen) trauen? Daher sollte das Thema Medienkompetenz in diesem Zusammenhang an erster Stelle stehen, so wie Lesen, Schreiben und Rechnen lernen für uns heute auch selbstverständliche Grundwerkzeuge zum weiterführenden Wissenserwerb sind. Auch da herrscht aufgrund der beschleunigten technologischen Prozesse und der gegenüberstehenden langsam arbeitenden gesellschaftlich-bürokratisierten Strukturen noch immenser Handlungsbedarf. Doch wir befinden uns auf einem guten Weg. Packen wir es an.
Bisher veröffentlichte Beiträge zum Thema:
Saskia-Janina Kepp (Uni Hildesheim)
Lernen – Merken – Erinnern Blog
Sieseco.de
Schoolict.ch
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